
Asher: Beobachtung
Lore
Obwohl er ein Mann der Wissenschaft war, so folgte Asher Mir doch seinem ersten Impuls, das verdammte Ding unter Beschuss zu nehmen. Die Pyramide schwebte in der Atmosphäre von Io und war damit nah genug, dass ein hinreichend beschleunigtes Projektil sie erreichen könnte. In Sekundenbruchteilen errechnete Asher den Anstellwinkel und die Masse des Geschosses. Den Aufbau der Railgun hatte Asher Mir ebenfalls erledigt, noch bevor sein Kaffee kalt geworden war. Er lud die Magnetspulen auf, wartete, bis der Wind nachließ, und feuerte eine Breitseite auf das Schiff ab. Seiner Einschätzung nach würde das Projektil auf eine kinetische Barriere treffen oder, im besten Fall, in die Pyramide selbst einschlagen und infinitesimalen Schaden anrichten. Doch stattdessen löste sich das Geschoss im Moment des Aufpralls quasi einfach in Luft auf. Asher runzelte die Stirn, gleichzeitig huschte ihm aber auch ein unwillkürliches Grinsen über das Gesicht. Sein Metallarm klickte und summte unwillkürlich leise vor sich hin. Diese Pyramide besaß die Dreistigkeit, sich direkt vor seinem Labor breitzumachen und so einen billigen Trick abzuziehen? Ganz offensichtlich hatte sie nicht damit gerechnet, auf Asher Mir zu treffen. Er präparierte einen weiteren Raketensprengkörper, den er mit einer erfassbaren Strahlungssignatur und einem Funksignal ausstattete. Dann feuerte er erneut auf die Pyramide. Doch auch dieses Geschoss verschwand beim Aufprall. Sein Signal verstummte, und es war von der Io-Oberfläche nicht mehr zu orten. Die nächste Sprengladung bestückte er mit einer Miniatur-Relaisstation. Er jagte sie durch seine Konsole und schoss sie ab. Im Augenblick des Einschlags in die Pyramide sendete sie eine Strahlungsspitze und eine Funkübertragung. Asher grinste. Die Geschosse waren also alle noch dort und steckten im Kraftfeld der Pyramide fest. Optisch nicht zu erfassen und unfähig, Signale zu senden, aber nach wie vor physisch vorhanden. Wie die Pyramide das anstellte, war momentan nicht von Belang, obwohl Asher sofort allerlei Nullpunktenergie-Theorien durch den Kopf schossen. Die Frage, die sich ihm jedoch am dringlichsten stellte, war: Was machte das Schiff mit den Projektilen, während es sie an der Peripherie seiner abscheulichen Gestalt im All festhielt? Und wieso?

Sloane: Aufseherin
Lore
Deputy Commander Sloane sah, dass das überfrachtete Vorhut-Skiff den Wellen gefährlich nahe kam. „Vorsicht!“, brüllte sie in den Kommunikator, und das Gefährt nivellierte sich. „Das da unten ist flüssiges Methan, und wenn euch das nicht umbringt, wird der Leviathan es tun.“ „Ach was, hier ist kein Leviathan“, sagte der Pilot mit knisternder Stimme. Er war ein Junge aus der Stadt, der kaum älter als 17 Jahre sein konnte. „Und wenn das Methan sein soll, wie kommt es dann, dass Sie nicht mal einen Helm tragen?“ Sloane grinste. Sie war Widerworte nicht gewohnt. „Ich benutze eine spezielle Feuchtigkeitslotion, Frischling“, antwortete Sloane und kappte die Verbindung. Über ihr ertönte das Kreischen einer Gefallenen-Ketsch. Blitzschnell war Sloane auf dem Steg im Außenbereich des Riggs. Sie brüllte den an Deck arbeitenden Männern zu, dass sie sich von der Fracht entfernen und in Deckung gehen sollten, zog ihr Scout-Gewehr und kniete sich auf ein Bein. Die ersten paar Geächteten waren schon tot, bevor sie auf dem Boden aufschlugen, doch dann trieb der Wind, der vom Meer herüberpeitschte, ihre weiteren Schüsse weit ab. Sie glaubte, der Angriff des Landungstrupps würde dem Fracht-Shuttle über ihren Männern gelten, also wandte sie sich dem Gefährt zu, aber die Biester hatten es auf die Vorräte abgesehen. Fluchend sprang sie über das Geländer und landete wie ein Blitzschlag auf ihren Füßen. Ihr Ohrhörer meldete sich zu Wort: „Sirenenwacht, hier spricht das Versorgungsschiff Vienna Stinger. Wir brauchen einen Landeplatz.“ „Landezone 5, Südseite!“, übertönte sie ihre Gewehrschüsse. „Ladet ab, was ihr mitgebracht habt, ich sorge dafür, dass in einer Minute ein Versorgungsteam da ist.“ Sie erledigte zwei weitere Geächtete und das Getöse der Ketch-Motoren verkümmerte zu einem Wimmern. Eine halbherzig abgefeuerte Drahtgewehrsalve prasselte auf die Landezone der Ketsch nieder, während sie sich davonmachte. Sloane rief ihr Team. Es wurden keine Verluste gemeldet, und außer zwei Kisten mit frischen Vorräten war nichts abhandengekommen. Sie wies das Team an, sich zur nächsten Landezone zu begeben, und machte sich daran, die vielen Stufen zu ihrem Wachpunkt hinaufzusteigen. Die Feinde hatten nicht während des Verladens der Technologie des Goldenen Zeitalters für den Transport in die Stadt angegriffen. Sie waren hinter den Vorräten her. Und sie zogen wieder ab. Sie schaute zu der am Himmel stehenden Pyramide hinauf und runzelte die Stirn. Die Tür ihres Büros schloss sich und wurde mit einem Zischen verriegelt. Ein weiches blaues Licht auf der Konsole bestätigte die luftdichte Versiegelung. Sloane schritt durch den Raum und blickte durch das Loch, das an der Seite ihres Riggs klaffte, auf das Meer hinunter.

Ana: Zerrissen
Lore
Sie hatte alles versucht. Die große Bray. Abkömmling eines Ahnengeschlechts, das ihnen Rettung versprochen hatte. Trotz all ihrer Genialität und Tatkraft konnte sie hier nichts ausrichten. Rasputin lag innerhalb dutzender, leerer Bildschirme, die rund um Anas Kommandostation verstreut waren, im Sterben. Sie konnte buchstäblich den ausblutenden Code durch ihre Finger rinnen sehen. Zavalas Stimme drang wie durch einen dicken Nebelschleier an ihr Ohr – wie das ferne Waffenfeuer in die hinterste Ecke ihres Bewusstseins verbannt. Der Anblick der von der Pyramide ausgesandten Verzerrungswelle lastete immer noch schwer auf ihr. Das war kein Angriff. Es war ein Befehl. Ein lapidares Zunichtemachen all ihrer sorgsam ausgearbeiteten Pläne. Es gab keinerlei Explosionen. Keine heulenden Sirenen, keinen dramatischen elektrischen Funkenflug. Nichts, wogegen man kämpfen oder das man richten könnte. Bloß einen in schweigendem schwarzen Glas und Fassungslosigkeit gefangenen Hüter. Sie war sich so sicher gewesen. Anas Blick folgte Jinju. Der Geist raste von Konsole zu Konsole und koppelte Lichtsträhnen an jede einzelne von ihnen. Die Anstrengung, die dies erforderte, verlangsamte sie zusehends. „Ana“, Jinjus Stimme klang durch die erdrückende Verzerrung gedehnt. „Ich glaube, ich habe ihn. Das meiste von ihm. Aber es wird nicht lange halten.“ Die Worte durchdrangen das entfernte Waffenfeuer. „Was?“ fragte Ana. Sie klang zunächst noch verhalten, unsicher, wie sie dieser Information begegnen sollte. „Was?!“ Jinju stöhnte und flüsterte verärgert: „Pranger … Engramm …“ „Es ist nicht bereit.“ „Ana, jetzt!“ „Es wird ihn wahnsinnig machen! Ich … kann nicht.“ Die an Jinju gekoppelten Lichtfasern begannen sich eine nach der anderen zu lösen. „Entweder jetzt oder nie!“ Von frischer Hoffnung ergriffen, hetzte Ana durch den Raum. Sie brüllte ein Kommando, das einen Bodentresor öffnete. Blitzschnell schnappte sie sich das Dodekaeder-Gehäuse aus dem Safe und verankerte es vor Jinju. „Jinju, tu es!“ Nachdem die Hülle des Geistes sich umgeformt hatte, um eine leitende Struktur zu schaffen, sprudelten Unmengen von Licht und Daten aus seinem Kern heraus. Ein Strom reinster Informationen floss unmittelbar in das Engramm und füllte es mit spiralförmigen Lichtfetzen. „Hast du …?“ „So viel ich konnte.“ Draußen vor den Fenstern durchzuckten atmosphärische Reibungsblitze den Himmel wie Feuerstriemen, als die Kriegssatelliten von ihren Verteidigungspositionen im niedrigen Orbit hinabstürzten und in der Ferne einschlugen.

Vance: Informant
Lore
Bruder Vance wich das Lächeln aus dem Gesicht, als der Titan sein Heiligtum betrat. Diese Gerüche waren unverkennbar: uraltes Schießpulver, verbranntes Öl, versengte Vex-Flüssigkeit, der Dunst von durchgeglühtem Stahl, das in hundert Leben überstrapaziert worden war. „Du hast das Perfekte Paradoxon“, merkte Vance mit so unaufgeregter Stimmlage an, wie es ihm eben möglich war. Er streckte die Hände aus. „Darf ich?“ Der Titan zuckte die Achseln und begann, in seinem Rucksack nach der Schrotflinte zu kramen. Dann legte er sie in Vances Hände. Vance fuhr mit seinen Fingern über den Lauf und prüfte das Gewicht des Schafts. „Ah“, sagte er. „Nicht das originale Perfekte Paradoxon, oder?“ Der Titan war verwirrt. Vance blieb einen Moment still und neigte den Kopf, bevor er fortfuhr. „Du hast diese Waffe nicht vom Grabmal des 14. Heiligen geborgen, sondern von einem Fraktalin-gespeisten Tesserakt erhalten, richtig?“ Der Titan nickte und starrte den blinden Mann einen Augenblick lang wortlos an. „Diese Sonnenuhr hat sie gefertigt“, erwiderte er schließlich. Vance umfasste die Waffe ein wenig fester. Sie war schwer, mit sieben – nein, acht Patronen geladen. Taktisches Magazin. Es hatte zweifellos eine ganze Weile gedauert, sie zu bekommen. „Und wie viele Zeitachsen hast du für diese Waffe leichtfertigerweise an unsere gebunden? Unsere Welt trägt nun die Last wie vieler zusätzlicher Realitäten im Austausch für diese sinnfreie Monstrosität?“ Vances Verstand geriet bei dem Gedanken an das endlose Netz, das an dieser Schrotflinte zerrte, in Wallung. „Wie viel Fraktalin hast du hierfür geopfert? Vierhundert Fragmente?“ Er hielt entsetzt inne. „Mehr?“ „Sie hat einen Röhrenlauf“, gab der Titan bereitwillig Auskunft. „Entferne dich aus meinem Heiligtum“, befahl Vance und legte die Schrotflinte wie ein totes Tier nieder. „Du hast das Ende aller Dinge beschleunigt, und jetzt muss ich meine Prophezeiungen entsprechend anpassen.“

Asher: Vorhersage
Lore
Den ganzen Weg über Io entlang fluchte Asher Mir ohne Unterlass. Auf seiner Route über die felsigen Klippen verfluchte er den lockeren Boden unter seinen Füßen, er verfluchte seinen übergroßen Rucksack, er verfluchte die umherstreunenden Besessenen, er verfluchte den Rückstoß seines Silikonneurom-Gewehrs. Er blickte zur Pyramide hinauf, die ihre fauligen Energien in den Sattel kanalisierte, und grinste hämisch. Trotz all seiner Belesenheit brachte er gerade nicht die Kraft auf, die passenden Worte zum Verfluchen dieses Dings zu finden. Angesichts des auf Io herrschenden Nachtzyklus war es inzwischen spät geworden, doch obwohl er müde war, wanderte Asher unbeirrt weiter. Nur ein einziges Mal blieb er kurz stehen, um eine Schnecke zu untersuchen, aus deren Gehäuse winzige Ansammlungen kristalliner Obelisken wuchsen. Er kroch durch die höhlenartigen Gewölbe unter dem Sattel. Fremdartige Wurzeln ragten aus den Erdwänden heraus. Still beobachtete er das Verhalten eines nervösen Kreischers und platzierte einen kalkulierten Querschläger, um eine Truppe Besessene in die falsche Richtung zu locken, so dass er unbehelligt passieren konnte. Eris befand sich in ihrem kargen Lager in der Nähe der gewundenen Wurzeln eines gigantischen Baums. Sie kniete neben einem von oben herabfallenden Lichtstrahl, der durch das Mark des Baums gefiltert wurde und auf eine unnatürliche Anhäufung von Kambiumblüten traf. Asher stiegen die Gerüche von Saft und verbranntem Speiseöl in die Nase. Eris behauptete zwar, sie sei erfreut, ihn zu sehen, doch als sie versuchte, die Kadenz seiner Vorratslieferungen zu hinterfragen, beschlich ihn das Gefühl, dass ihr sein unerwarteter Besuch wohl eher lästig war. Während er auspackte, was er ihr mitgebracht hatte, erzählte sie ihm von dem Baum, den Botschaften, dem Flüstern. Von dem aufregenden Kampf, einen Blick auf das Antlitz des Unbekannten zu erhaschen, selbst wenn ebendieses Unbekannte versuchen könnte, dich zu töten. Sie lächelte, während sie sprach. Und Asher verstand genau, was sie meinte. Er ruhte sich am Feuer aus. Nicht weit von ihm entfernt stand ein kleiner Tisch mit Proben von Schar-Chitin, Ablegern des Baums, vom Boden aufgeklaubten Ascherückständen und einem geöffneten Notizbuch, das Asher als persönliches Tagebuch erkannte und, wenn auch widerwillig, schnell zuklappte. Er griff abermals in seinen Rucksack und zog eine Flasche mit feinem goldfarbenen Hochprozentigem heraus (irgendein dummer Ignorant hatte mal seine Bitte um Isopropylalkohol missverstanden), die er auf den Tisch stellte. Er hatte sogar zwei saubere Gläser dabei, die zufällig genau in den kastenförmigen Transportbehälter eines großen Messzylinders gepasst hatten. Jetzt holte er eins davon heraus und setzte es behutsam neben der Flasche ab. Asher hüstelte, band die Schnürsenkel seiner Stiefel neu, erhob sich und schulterte seinen Rucksack. „Du hast alles im Griff, oder?“ fragte er Eris. „Selbstverständlich“, antwortete sie, konzentrierte sich aber weiter auf den Strahl des wirbelnden Lichts. Er trat ein wenig auf der Stelle und räusperte sich. „Ich muss wissen, dass du zurecht kommst“, sagte er klar und deutlich. Eris warf ihm einen Blick zu und musterte den Mann, der ihr gegenüber stand. „So gut ich eben kann“, antwortete sie schließlich. Asher nickte und machte sich auf seinen langen Rückweg.

Sloane: Wellenbrecher
Lore
Deputy Commander Sloane war ziemlich schlechter Laune, und die gute Amanda Holliday hatte keine Ahnung. Die Wellen auf Titan hämmerten unnachgiebig auf die massiven Stützstreben der Sirenenwacht ein. Lägen die Dinge anders, würde jetzt eine Crew da unten zwischen den Mammutpfeilern hin- und herschwingen, um sie zu reparieren und zu stabilisieren. Aber die Dinge lagen nicht anders. „Du kannst jederzeit einen Kastenträger zurechtzimmern, um sie zu verstärken“, sagte Amanda. „Du kannst das. Ich nicht“, erwiderte Sloane. Dank ihrer Mitwirkung beim Bau einiger Mauern hatte sich Amanda ein beneidenswertes bautechnisches Hintergrundwissen angeeignet, auch wenn sie offenkundig keine besonders gute Lehrmeisterin war. Amandas Hologramm schlürfte Ramen. „Wie lange muss das Ganze halten?“ „Lange genug, dass ich mir keine Gedanken mehr darum machen muss“, antwortete Sloane. „Seit es hier wacklig geworden ist, hatte ich nicht mal mehr die Zeit, mich um die Pyramide zu kümmern.“ „Glück im Unglück!“, flötete Amanda, und Sloane fuhr sich mit der Hand durch ihr zerzaustes Haar. „Komm schon“, stöhnte Amanda. „Du hast auf Titan Zugang zu einem Sammelsurium an Technologie des Goldenen Zeitalters. Darunter wird sich doch wohl ein Engramm mit einer Brücke finden.“ Sloane starrte ausdruckslos vor sich hin. Da könnte tatsächlich etwas dran sein, aber sie hatte einfach nicht die Zeit, verlorener Technologie hinterherzujagen. „Dann bau einen Wellenbrecher! Verschraub Tetrapods mit den Streben oder, noch besser, platziere irgendwas im Meer, das die Wellen frühzeitig bricht.“ „Wenn du einer Gewalt nicht standhalten kannst, gehst du hin und bekämpfst sie, noch bevor sie dich treffen kann. So!“ Amanda beugte sich vor und stellte irgendetwas mit ihrer Ramenschale an, das Sloane nicht erkennen konnte. „Du siehst nicht hin“, sagte Amanda und kippte ihre Schüssel so weit, dass Brühe über ihren Schreibtisch lief. Sie brach in schallendes Gelächter aus. „Ich beende dieses Gespräch jetzt“, sagte Sloane und tat dies auch, nachdem sie Amandas melodramatisches Schmollen mit einem freundlichen Winken quittiert hatte. Das Hologramm verlosch. Sloane stand im Dunkeln und blieb noch eine ganze Weile so dastehen.

Ana: Physik
Lore
Zavala stellte zwei Gläser ab. Er beobachtete Ana, während er den samtig aussehenden Likör einschenkte. Sie starrte auf die Maserung seines Schreibtischs, die für den Unachtsamen optisch mit dem Holz verschmolz und nicht zu erkennen war. Hinter ihnen war der Reisende unter einer dunklen Wolke verborgen, ein Bestandteil des Himmels und doch nicht eins mit ihm. „Ich kann nicht glauben, dass wir verloren haben“, sagte sie. „Trotz allem sind wir nicht verloren.“ Zavala schob ein Glas zu Ana hinüber. „Ich war wie erstarrt. Wir wissen immer noch nicht, was – ob wir irgendetwas gerettet haben“, sagte sie. „Es ist nicht leicht, mit einer Niederlage umzugehen. Wir dürfen die Aussicht auf eine Zukunft niemals vergessen.“ Ana warf Zavala einen wütenden Blick zu. „Nichts, was wir tun, sollte leicht sein. Darum geht es doch, oder? Das war ein Stresstest, und ich bin eingeknickt.“ „Hab Vertrauen, Ana. Du hast mich daran erinnert, dass wir uns von den Zweifeln unserer vergangenen Misserfolge mitreißen lassen. Ohne dich würde die Stadt in Schutt und Asche liegen, das hätte sie schon mehr als einmal getan.“ Ana nahm das Glas in die Hand. Sie roch an dem Getränk, rümpfte die Nase und stellte es wieder auf dem Tisch ab. „Du hast an mich geglaubt. Rasputin war meine Aufgabe.“ „Ja, und daran hat sich nichts geändert. Eine Aufgabe für die Zukunft“, erwiderte Zavala und nahm einen Schluck von seinem Drink. „Jetzt haben wir eine neue Aufgabe. Eris braucht unsere Hilfe.“ „Sag mir, dass es noch nicht vorbei ist.“ „Als Cayde starb, befürchtete ich, das Auseinanderbrechen der Vorhut würde unausweichlich zur Niederlage führen. Bis heute ist es nicht gelungen, dass jemand in seine Fußstapfen trat. Ich war der Meinung, ich sei zu schwach, um die Vorhut ohne das Gegengewicht seiner … einzigartigen Perspektive zu führen. Doch wie sich herausstellte, war sein Leben nur eines von vielen in einer Ewigkeit von Möglichkeiten.“ „Zavala, ich will nicht–“ „Nur die Ruhe, ich will dir seinen Job gar nicht aufschwatzen. Es sei denn, du hättest Cayde getötet und wir hätten die ganze Zeit den Falschen verdächtigt?“ „Wenn ich es getan hätte, würdest du mir das verzeihen?“ „Ich würde es verstehen“, sagte er und lächelte. „Ikora hat mir damals erklärt, dass ein Objekt, das einmal in Bewegung gesetzt wurde, stets in Bewegung bleiben wird. Ich habe diese Theorie immer bewundert, auch wenn ich zugeben muss, dass es schwerfallen kann, daran festzuhalten.“ Ana schüttelte den Kopf. „Das ist bloß Physik.“ „Ein fundamentaler Aspekt des Lebens.“ Er merkte, dass sich Anas Stimmung besserte, während sie über seine Worte nachdachte. „Wir fassen dort Fuß, wo wir es können, und gehen dann unter Berücksichtigung der Bodenbeschaffenheit den nächsten Schritt.“ Ana nickte. „Was wohl aus Caydes Huhn geworden ist?“ Zavala seufzte. „Ich glaube, der Heilige hat es geweiht und zu einer Art ‚Taubenlord‘ ernannt.“ Anas verkniffener Mund verzog sich zu einem Grinsen. „Egal, wie lange wir überdauern, das Leben wartet nicht auf uns. Genieß deinen Drink.“ Zavala erhob sein Glas und kicherte. „Bevor uns der Taubenlord zum Angriff auf die Pyramide zusammentrommelt.“

Vance: Auspex
Lore
Die Musik ertönte klar und wahrhaftig. Bruder Vance lauschte, in seinem Gesicht spiegelte sich ein Anflug von Entrückung wider. „Sie wiederholt sich“, flüsterte er sich selbst und dem jungen Warlock zu, die über die Immerschmiede gebeugt eifrig Waffen aus einem anderen Zeitalter schmiedete. Sie lauschte höflich, hörte aber nichts. Also wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu. „Wieso hat niemand ein Bedauern für den Phönix übrig?“ Der Warlock blickte erschrocken auf. Vance stand ihr gegenüber. Sie hatte nicht bemerkt, dass er sich genähert hatte. Seine Frage traf sie völlig unerwartet, wenngleich er sie in einer Form stellte, als hätten sie soeben eine ausgedehnte Unterhaltung geführt. „Wie bitte?“, erwiderte der Warlock. „Sicher, er erfährt endlose Wiedergeburten, aber jede von ihnen endet mit einem feurigen Tod“, sagte Vance. „Kaum hat er die Asche aus seinem Federkleid geschüttelt, geht er schon wieder in Flammen auf.“ Der blinde Mann drehte sich um und reckte sein Gesicht dem gleißenden Sonnenlicht entgegen, das sein Heiligtum erhellte. „Und niemand spricht über seinen Gesang.“ Der Warlock dankte Vance für die Erlaubnis, seine Schmiede zu benutzen, und wandte sich zum Gehen. „Sehr gern geschehen“, erwiderte er, ohne den Kopf zu drehen, doch sein bislang ausdruckloses Lächeln hatte inzwischen freundliche Züge angenommen. Er zeigte auf die Bücher und Schriftrollen auf seinem Schreibtisch. „Bedien‘ dich und nimm dir eine Prophezeiung“, sagte er. „Ich glaube, ich habe meine Studien endlich abgeschlossen.“

Asher: Konklusion
Lore
Als Asher Mir zusah, wie das Schiff seines Assistenten zum letzten Mal in den Orbit abhob, fiel ihm ein, dass er gar nicht zum Ausdruck gebracht hatte, wie außerordentlich zufrieden er mit Teilen seiner Arbeit gewesen war. Einen kurzen Moment lang überlegte er, ob er einen Brief hinterlassen sollte, aber da waren noch andere, die es verdient hatten, von ihm bedacht zu werden. Und wenn er sich dabei mit absteigender Priorität vorarbeiten würde, käme er womöglich nie bei seinem Assistenten an, was dem Zweck der Aufgabe ganz und gar zuwiderlaufen würde. Also machte er sich stattdessen auf den Weg zum Pyramidion. Die Vex werden nicht geboren, aber auch nicht erschaffen. Der Drang, dieses Rätsel zu ergründen, hatte Asher nach Io gebracht. Er glaubte, dass die Pyramide mit ihren fremdartigen Ressourcen und ihrer unbegreiflichen Macht wahrscheinlich aus demselben Grund hergekommen war. Das dunkle Schiff versuchte, die Geheimnisse der Vex für sich allein zu ergründen und zu behalten. Doch Asher Mir hatte seinen Claim bereits abgesteckt, und er war bereit, ihn auch zu verteidigen. Bald darauf stand er vor dem Tor des Pyramidions. Das Vex-Sicherheitssystem reagierte, wie er es erwartet hatte, und er war gewappnet. Er stapelte ihre zerstörten Leichen auf die Platten und ging weiter hinein. Nachdem er die ersten hundert Vex vernichtet hatte, folgten weitere. Direkt vor ihm erwachte ein Minotaurus zum Leben, also zerdrückte er mit seiner metallenen Faust seinen radiolarischen Kern. Er kletterte über ihre krallenden Gliedmaßen und rutschte auf dem kühlen Nass ihrer toten Flüssigkeit aus. Asher würgte einen großen Schluck Blut hinunter und ging weiter. Er blieb an einem wirbelnden Tor stehen, beobachtete aufmerksam die aperiodischen Wellen und trat dann im einzig möglichen Moment hindurch. Er bahnte sich zügig einen Weg durch das Lasergitter, das sich um ihn herum zu verbiegen schien. Ruhig und gelassen hing er in einem gravitonischen Tourbillon, während sich der Boden unter ihm wild hin- und herschob und flackerte. Und die Vex begannen, das Schauspiel zu beobachten. Die Korridore des Pyramidions waren von leuchtend roten Augen gesäumt. Die Metallpuppen standen nur stumm, zuckend und schaudernd da, während Asher passierte. Ein vertrauter Anblick tat sich vor ihm auf: ein kubistisches Erdloch, aus dessen flachem Bodenbereich der Gestank von Schieferschlamm und Bleiche emporstieg. Er blickte in die Richtung, wo der Himmel sein sollte, und entdeckte ein weiteres unmögliches Gebilde; einen weiteren fraktalen Widerspruch. Weit über ihm ruhte der gigantische radiolarische See in seinem Penrose-Vortex und schwappte bedächtig an die metallischen Ufer. Der Mann griff mit seinem Metallarm nach oben an den See. Dann ließ er auch seinen fleischlichen Arm folgen. Er griff mit beiden Händen zu und zog den See nach unten.

Sloane: Riastrad
Lore
Nachdem sie dem Hüter-Schiff bei seinem letzten Abflug von Titan nachgeblickt hatte, kehrte Commander Sloane in ihr Büro zurück und legte die Technologie des Goldenen Zeitalters an, die sie der Schar abgenommen hatte. Die schwere Energiequelle hing wie ein Patronengurt von ihren Schultern. Sie legte sie sich um den Hals und stieg in den riesigen, schwerfälligen Anzug. Als sie ihren Kopf in die graue Kapuze schmiegte, erschien ein Bedienfeld vor ihren Augen. Auch wenn sie die Sprache nicht verstand – noch nicht –, wählte sie intuitiv die grüne Option. Mit einem Zischen passte sich der Anzug ihren Körperkonturen an. Er war schwer, gewährte ihr aber trotz allem völlige Bewegungsfreiheit. Sie konzentrierte sich auf ihren Arm, fokussierte sich, und das Material verwandelte sich in einen dicken Schuppenpanzer. Es war beeindruckend. Sie versuchte, Arkus-Energie zu formen, doch der Anzug blockierte offenbar ihr Licht. Vielleicht musste sie erst lernen, wie sie das Licht durch den Anzug dringen lassen konnte. Mittels Blickkontakt suchte sie eine andere Option aus und bestätigte sie durch erneute Auswahl. Sie verspürte keinen Schmerz, als der Anzug einen kalten Schlauch durch ihre Seite stieß und ihn in Richtung ihres Magens manövrierte. Das beantwortete ein paar ihrer Fragen. Sloane wankte ins Freie. Draußen tobte ein Sturm, als wolle Titan damit den Eindringling vertreiben, der träge am Himmel stand. Sie stemmte sich gegen den Wind und der Regen prasselte auf ihre zweite Haut nieder. Jeder Schritt fiel leichter als der vorhergehende, der Anzug passte sich ihrer Gangart an. Ein Symbol blinkte auf, und plötzlich wurde sie von einem Schar-Leibeigenen angegriffen. Sie packte ihn am Hals und am Arm, bevor sie ihn entzwei riss. Völlig mühelos. Das Lachen, das ihr daraufhin entfuhr, schien der Anzug als Schlachtruf zu interpretieren: Er verstärkte die Laute und sendete sie aus, sodass sie von den verlassenen Frachtcontainern auf den verregneten Landezonen durch die gesamte Sirenenwacht und bis hinauf zur Pyramide widerhallten. Ein Blitz zuckte am Himmel und der Sturm tobte weiter.

Ana: Blackbox
Lore
Ana Bray beobachtete, wie der Sparrow des Hüters ein letztes Mal über das Hellas-Becken raste, und blickte einem Vertrauten nach, der an sie geglaubt hatte, als es niemand sonst getan hatte. Dieses Vertrauen, hatte Zavala sie erinnert, war ein Band, das mächtiger war, als alle Kriegsgeist-Waffen im System. Es war ein Versprechen, weiterzumachen – eine Verständigung darauf, dass es immer noch eine Zukunft gab. Jinju hatte dies als „umgekehrte Rettung“ bezeichnet. Sie kannte sich mit dem Wiederaufbau aus Trümmern der Vergangenheit aus. Das Gebäude war nahezu leer. Sie hatte so viel Technologie zum Turm geschickt, wie sie nur konnte: Ein ganzes Frachtschiff voll, bis in den letzten Winkel bepackt. Sie wandte sich dem großen Fenster zu, von dem aus man die stummen Kriegssatelliten-Kanonen überblicken konnte. Es waren keine Kabale in Sicht. Der unter dem Mars begrabene Tod war verstummt. Die fernsteuerbaren Walküre-Subroutinen blieben jedoch aktiviert, nur für den Fall. Jinju führte letzte Checks am Sprungschiff durch. Hoch über ihr ragte eine dunkle Pyramide. Im Frachtraum des Schiffs war ein experimentelles Exo-Chassis sicher verstaut. Einen Fuß vor den anderen.

Vance: Passeri
Lore
Nachdem sich der Hüter ein letztes Mal von ihm und seinem Heiligtum verabschiedet hatte, sammelte Bruder Vance ein paar Habseligkeiten zusammen und trat auf die gleißende Oberfläche des Merkur. Den Eingang zum Immerforst fand er so problemlos, als hätte er die Reise schon zahllose Male in Gedanken durchgespielt … was ja auch der Fall war. Doch dieses Mal schritt er auch hindurch. Das Rauschen des Waldes glich einem Gebrüll. Die schwindelerregende Leere traf ihn wie ein Schlag. Die Resonanzen ergaben keinen Sinn. Unmittelbar nachdem er einen Fuß in die heilige Stätte gesetzt hatte, fiel er auf die Knie und übergab sich. Unter ohrenbetäubendem Getöse kämpfte er mit seinem Rucksack. Er kramte sein Unendliches Simulakrum hervor, das ihm an diesem gigantischen Ort unfassbar winzig vorkam, und synchronisierte es mit zitternden Fingern mit der Frequenz des Risses im Wald. Es tickte wie ein Metronom und dann … Stille. Der Wald war versiegelt. Vorsichtig tastete sich Vance über den riesigen Gesteinsbrocken vor, auf dem er stand. Gleichzeitig hüpfte er mühelos von dem Fels hinunter, als ob er es schon unzählige Male zuvor getan hatte. Und zugleich schwang er sich in die Höhe. Er bewegte sich in alle Richtungen – fallend, lachend, singend –, jeden Pfad entlang, in jede Realität, die Botschaft der Hoffnung verbreitend. Das Original, der „echte“ Vance, spürte seine endlosen Ebenbilder aus ihm hervorbrechen. Er fühlte, wie sie ihn mit sich rissen, sobald sie ihn passierten. Danke, sagte er wortlos, vor Freude unfähig zu atmen, und er spürte hunderttausend Berührungen der Bestätigung. Er bemerkte, dass er weinte. Dann, inmitten des Wirbels seiner goldenen Echos, erhob Bruder Vance seine Stimme und begann sein Lied: „Ein wenig Hoffnung für–“ Seine eigene Stimme antwortete ihm aus dem Hintergrund. „Die Zukunft“, fuhr sie fort. Vance sprang auf die Stimme zu. Er erkannte seine eigene Silhouette und packte ihre Kehle. Die Gestalt drehte und wand sich, kalt und wild unter seinem Griff. Sie warf Vance auf den Rücken, doch er ließ nicht los. Er presste dem Ding die Hände ins Gesicht, griff unter seine Augenbinde und drückte seine Daumen fest hinein. Das Ding heulte auf. Was für ein Pech, dachte Vance mit einem breiten Lächeln, dass du noch Augen hast.