
Knochensplitter
Lore
Tief im Herzen des Gefängnisses der Alten umklammerte Variks vom Haus Urteil einen Knochensplitter, als er sah, wie das Sonnensystem brannte. Die Anlage wurde im Laufe der Jahre mit riesigen Sensorenrastern ausgestattet, die überall im Riff verteilt waren. Durch sie konnte er den ganzen Zorn der Rotlegion im Detail miterleben. Das Licht der Monitore war die einzige Beleuchtung in dem Raum, als seine Arme über die Bedienelemente flogen. Er schickte Petra und den Erwachten eine Warnung, konnte aber bereits sehen, wie die Überreste der Erwachten-Flotte aus seinem Blickfeld verschwanden, um sich zu verstecken. Auch warnte er die Stadt, obwohl er wusste, dass es viel zu spät war. Die Kommunikation war tot. Es gab niemanden mehr, der das Signal empfangen würde. Und er warnte seine Leute. Mit dem Niedergang der Häuser gab es zwar nur noch wenige, die ihn hören würden, aber wenn er auch nur eine Handvoll von ihnen retten könnte ... Während seine flinken Hände ihre Arbeit taten, blieben seine Augen auf den Bildschirmen fixiert und wurden Zeuge von Tod, Zerstörung und Schrecken. Bei seinem Dienst für die Hüter der Stadt hatte er über das Notsignal der Dantalion-Exodus VI nachgedacht. Quelle GREENRAVEN hatte seit dem Besessenen-Krieg mindestens ein Dutzend Mal Analysepakete zum Turm geschickt. Er hätte aber niemals Zahlen dieser Größe erwartet. Da die Systeme der Letzten Stadt ausgefallen waren, hatte er kein Problem damit, Sensoren über der Mauer anzuwählen. Er konnte die Heimat der Menschheit ganz klar sehen, mit einer Auflösung, die es ihm ermöglichte, Parks, Seen und Marktplätze auszumachen. Und durch dieselben Sensoren konnte er sehen, während der Knochen in seiner mechanischen Faust knirschte, wie Menschen starben. Wie die Große Maschine nutzlos wurde, wie die Hüter ... fielen. Er alarmierte sofort die Krähen ... aber etwas stimmte nicht. Das Netzwerk war ausgefallen, jede einzelne Krähe war offline. Alle, bis auf eine. Durch ein verstümmeltes Bild sah er eine Hand, die Hand eines Erwachten, aber sie verschwand sofort wieder im Bildrauschen. Er wollte betroffen sein. Er wollte etwas für sie empfinden. Aber was seine Gedanken beherrschte und ein tickendes Geräusch in seiner Stimm-Synthese verursachte, war die wachsende Angst, dass der Plan der Königin gescheitert wäre. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und dachte nach. Das Gefängnis der Alten war in einem Orbit, der weit genug vom Kern der Erwachten-Außenposten entfernt war, und damit weit genug entfernt von der Phalanx der Kabale, um die Sache womöglich heil zu überstehen. Nichtsdestotrotz startete er die Abschaltungsprozeduren, um auf den schlimmsten Fall vorbereitet zu sein. Ein Kommunikationssignal. Bestätigung: Petra Venj und die wenigen Truppen unter ihrem Kommando evakuierten, was sie konnten, und verschwanden in den Winkeln des Riffs. Sie wäre nicht in der Lage gewesen, dem Gefängnis Hilfe zu schicken. Erst das Haus Urteil, dann Haus Wölfe. Dann Kell Mara Sov. Er konnte jetzt spüren, wie der Rest seiner adoptierten Leute ihn verließen. Mit einem seiner mechanischen Arme zerdrückte er den Knochen zu Staub.

Weniger ist mehr
Lore
Variks sah zu, wie Petras Korsaren ihre neueste Beute in den Zellenblock brachten: ein Haufen Geächteter, die nach Äther hungerten und das Zeichen der Hohn-Barone trugen. Nicht weit weg trommelte Petra mit ihren Fingern auf dem Griff ihres Messers, ihre Augen funkelten vor Neid. Sie hielt an diesem Gefängnis fest, als wäre es die letzte Sache unter ihrer Kontrolle. Und vielleicht war es auch so. Zwischen den verstreuten Resten der Rotlegion und den Hohn-Baronen, die das Riff unsicher machten, gab es nicht mehr viel, was die Erwachten ihr Eigen nennen konnten. Es gab auch nicht mehr viele Erwachte. Variks seufzte. Nur ein echter Kell verstand, dass im Überlebenskampf nicht der gewann, der am längsten warten konnte. Und Petra Venji, trotz all ihrer militärischen Kompetenz, war kein Kell. „In einer Welt ohne Kells entspringt der Stärke der Geächteten nur Chaos“. Variks murmelte das alte Sprichwort von Haus Regen, das sich die Rückkehr seiner Königin wünschte. Seiner Kell-Königin. „Was hast du gesagt?“, fragte Petra, ohne ihn anzusehen. „Chaos“, antwortete er. „Diese Geächteten erzeugen nur Chaos.“ Petra spöttelte. „Es sind Gefallene. Und wo es Gefallene gibt, gibt es zwangsläufig auch Hüter.“ Sie drehte sich auf dem Absatz um, um zu gehen. „Ich vertraue deinem Urteilsvermögen, Variks. Finde das Loch, in dem sich diese Hohn-Barone verstecken.“ Sie wandte sich noch einmal zu ihm um. „Vielleicht solltest du auch mehr Rationen zu dir nehmen, du siehst ein wenig ... abgemagert aus.“ Mit einem Lächeln klopfte sie ihm auf die Schulter und marschierte los. Er sah zu, wie sie verschwand. Wenn es ihm anatomisch möglich gewesen wäre, hätte er ihr Lächeln erwidert. Sie hatte das Herz am rechten Fleck, selbst wenn die Resultate ihrer Entscheidungen nicht immer optimal waren. Auf jeden Fall war sie etwas arglos, was die wirkliche Gefahr durch diese „Hohn“-Barone anging. Er hatte versucht, sie zu warnen, als es nur sieben Geächtete und einen ketzerischen Archon gab. Jetzt verbreitete sich ihr Schrecken im Riff und immer mehr Gefallene folgten dem Ruf nach Anarchie. Mit einer Sache hatte sie aber Recht: Er sollte mehr zu sich nehmen. Der Gedanke machte ihn sogleich durstig. So wie alle seiner Art musste er seit der Ankunft der Rotlegion seine Nahrung rationieren. Er hatte sich noch nie so schwach und dem Tod so nahe gefühlt. Aber er würde überleben, so wie er immer überlebt hatte. Doch Variks wusste, dass die Zeit kommen würde, wo er völlig auf sich alleine gestellt überleben müsste.

Appell
Lore
Nach dem Besessenen-Krieg taten sich die geschwächten Hohn-Barone zusammen, um wieder stark zu werden und alle zu jagen, die die alten Wege der Eliksni praktizierten. Sie begannen mit der einen Sache, die ihr Volk zum Überleben brauchte: Äther. In gewisser Weise wurden die Barone zu Anführern eines neuen Hauses, Priester ihrer eigenen Religion und Richter ihrer eigenen Prozesse. Der Schrecken, den sie entfesselten, war irgendwann fast so schlimm wie der der Kells. Diese Ketzer waren keine Eliksni, sie waren mehr „Gefallene“ als alle ihre Brüder. Sie waren all das, was das Haus Urteil vor dem Wirbelwind auslöschen wollte – und nun verrotteten sie in den Tiefen des Gefängnisses der Alten. Cayde und seine „Sechs“ hatten ihr Versprechen eingelöst. Varik klopfte heiter mit seinem Stab auf die Bodenplatten und aus seiner Kehle drangen kichernde Geräusche. Er humpelte an ihren Zellen vorbei, als die Servitoren summend zum Leben erwachten. Fütterungszeit. Er sah Hass in jeder Zelle, die er passierte. In das Licht des fließenden Äthers getaucht, gruben sich ihre Augen in sein Fleisch, um ihn tausende Male zu verstümmeln. Yaviks, die Raserin, die Ungezähmte. Sie und ihre Crew verbreiten Angst und Seuchen mit ihren giftigen Stacheln. Elykris, die Maschinistin. Sie verwendete gestohlene Telemetrie und Gravitationsfallen der Kabale, um Schiffe zu sabotieren, erleichterte sie um ihre Fracht und schlachtete sie in ihren eigenen Schiffswerften aus. Pirrha, der Blinde, der Geist der Hellrise-Höhle, dessen Phantom-Lockvögel das Territorium der Barone heimsuchten und alle Eindringlinge von ihren Schatten befreite. Reksis Vahn, der Gottesschlächter, der Henker. Er hatte die Ätherspeicher seiner Opfer versteckt und die Barone und ihre Anhänger mit diesem verdorbenen Fest in Rage versetzt. Araskes, die Gerissene. Die Verräterin. Die Gaunerin. Ein Genie. Eine Lügnerin, Diebin und falsche Schlange. Kaniks Zweifinger, der Irre Bomber. Die Gefahren des Riffs hatten sich durch seine Minen, die auf jedem Felsen und in jeder staubigen Ecke des Gürtels versteckt waren, hundertfach vervielfacht. Und der Widerwärtigste von allen: Hiraks, der Gedankendreher. Er hatte eine Möglichkeit entdeckt, die Geister der Eliksni-Schar zu korrumpieren. Nur einer fehlte. Fokrul. Der Ketzer. Der Fanatiker. Der, den Variks einen Freund genannt hatte, als die Archons auf Kaliks Primus hörten. Vor seinem Verrat. Er hoffte, dass der Fanatiker tot war, Cayde war sich dessen sicher. Doch konnte man sich auf das Wort von Cayde-6 verlassen? Lachend und murmelnd schaltete Variks das Licht im Gang aus. Und die Barone waren wieder von Dunkelheit umhüllt.

Ein unerledigter Auftrag
Lore
Im Sicherheits-Hub des Gefängnis der Alten grübelte Variks vor sich hin. Als die Große Maschine erwachte, hatte er es gespürt, tief im Inneren. Er hatte gehofft, es würde ihm Antworten, Macht oder zumindest irgendetwas geben. Aber es erinnerte ihn nur daran, wie tief er gefallen war. Er schlug eine Faust auf seine Konsole und beobachtete, wie die Insassen des Gefängnisses an ihren Zellwänden kratzten. Nein, nicht nichts. Schlimmer als nichts. Jetzt hatte er Zweifel. Sein Ziel war schon immer einfach gewesen. Das Banner seines Hauses Urteil, die Berufung, für die er geboren wurde. Sein Volk zusammenhalten. Das Licht strömte jetzt durch das System, ohne auf die Königin, Eris oder Osiris zu fallen, und es gab kein Anzeichen dafür, dass sich die Große Maschine an die Eliksni erinnerte – worauf sollte man so denn nur hoffen? Einfach nur überleben. Einen Tag nach dem anderen. Weitermachen, solange er atmen konnte. Aber wo war darin die Stärke zu finden, die einen Geächteten auszeichnet? Was war das ... „Variks!“ Petras Stimme dröhnte durch den Lautsprecher. „Ein Ernteschiff der Legion wurde bei Peilung 189 abgefangen. Abfangteams im Anflug. Überlebende für die Arena. Bereitmachen für Übernahme.“ Petra Venj war alles, was von ihm hier noch übrig geblieben war, und er konnte sich nicht helfen, beim Klang ihrer Stimme musste er nicken. Schließlich hatte er nur noch eine Verbündete. Er drückte die Kommunikationstaste. „Ja, ja, ja. Bucht 41. Bring sie rein. Werde das Team treffen. Werde Platz schaffen für neue ... Gäste.” Seine Stimm-Synthese klang verzerrt. Sie musste neu eingestellt werden. „Verstanden.“ Und schon war sie wieder fort. Er nahm seinen Stab, der gegen die Wand gelehnt stand, und begann den langen Weg zur Bucht. Er grübelte über seine Optionen nach, seine Informationen, seine Geheimnisse. Geheimnisse hatten das Haus Urteil geschützt. Je mehr Wissen man verschleiern konnte, desto wichtiger wurde man. Geheimnisse bargen Möglichkeiten. Geheimnisse bargen ... Einfluss. Doch Urteil, wahres Urteil, erforderte eine Hierarchie. Und die Hierarchie der Eliksni starb mit dem Fall der Häuser. Die Hüter hatten sie auseinandergenommen, Kell für Kell, Primus für Primus. Jetzt war von seiner Kultur so gut wie nichts mehr übrig – nur Piraten und Plünderer und einsame Wölfe, wie in den Tagen vor den Rand-Kriegen. Kein Vertrauen, keine Ehre, keine Möglichkeit, unersetzlich zu sein. Und doch gedieh unter den Eliksni eine Hoffnung: Craask, Kell der Könige. Die Könige hatten das Urteil verstanden, denn gemeinsam hatten sie die Rand-Kriege im goldenen Zeitalter ihres Volkes beendet. Craask. Seine letzte Hoffnung, die Eliksni vereint zu sehen, in personifizierter Form. Er musste Kontakt aufnehmen. Und so heuerte er einen Kopfgeldjäger namens Groks an, um Craask zu finden und sie daran zu erinnern, dass sie einander brauchten. Groks, der all das symbolisierte, was Variks an seinem Volk verabscheute – er war maßlos, stolz und hatte stets nur den eigenen Vorteil im Sinn. Als sie sprachen, ließ Groks Variks bezahlen, indem er eine wahre Litanei an Beschimpfungen über ihm vergoss. Variks, der Schlüpfrige. Vakris, der Bettler. Vakris, der Kell-Macher. Doch das war nur Lärm um nichts. Groks würde seine Arbeit aufnehmen, und es kostete Variks nicht mehr als vier Ballen ätherische Helix und das Versprechen, ihn vor dem Gefängnis der Alten zu bewahren. Als die Abmachung geschlossen war, brach Groks in hysterisches Gelächter aus. „Ha! Du kannst den Auftrag als erledigt betrachten, Schlüpfriger!“ Groks sprach in einer niederen Form von Eliksni; der einzige Grund, warum Variks ihn angeheuert hatte. „Du musst ziemlich verzweifelt sein, seit dein Kell fort ist. Hast du es noch nicht gehört?“ Variks seufzte. „König Kell ist tot, Kell-Macher. Hat seinen Tod durch die Hände dieses wahnsinnigen Archons Fokrul und irgendeines Erwachten-Herumtreibers gefunden, den er „Vater“ nennt. Was von den Königen übrig ist, kauert nun in den Todeszonen der Erde, unter dem Schatten des Bruchstücks der großen Maschine. Ich erwarte meine vier Ballen in ...“ Variks beendete die Übertragung. Das letzte Glied in der großen Eliksni-Kette war gebrochen. Wenn es irgendjemanden da draußen gab, der sich Kell nannte, würde er Variks, das Urteil oder die Gesetze der Häuser nicht kennen. Die verstreuten Kinder des Wirbelwinds waren tot. Aber ... Fokrul hatte Cayde und seine Sechs überlebt? Man konnte Groks vieles vorwerfen, doch ein Lügner zu sein gehörte nicht dazu. Wenn Fokrul lebte und stark genug war, um Craask zu töten ... Und wer war dieser Erwachten-Herumtreiber, von dem Groks gesprochen hatte? Sein Verstand arbeitete fieberhabt. Solange Fokrul lebte, war das Riff nicht sicher. Er durchsuchte seine Kommunikationskanäle nach der richtigen Verbindung. „Meister Cayde, Variks erbittet ein Treffen wegen deiner Abmachung mit Petra. Es gibt einen unerledigten Auftrag.“

Eine Art von Glück
Lore
Variks verbarg sich unter einem bannerlosen Umhang, als er in Spiders Unterschlupf hinabstieg. In der Wirrbucht sein Urteilssiegel zu tragen, wäre eine Einladung für den Tod. Selbst mit Spiders Erlaubnis zu passieren, wäre er ausgeraubt und ausgeschaltet worden. Die hedonistischen Klänge von Spiders Palast drangen zu ihm durch. Die Schreie des Triumphs und der Niederlange erinnerten Variks an das Schlimmste der Eliksni: das Verlangen nach Überlegenheit, das seinem Volk innewohnte, reduziert auf Glücksspiele um Plunder und Edelsteine. Variks hielt den Kopf gesenkt und durchsuchte die Menge. Nur ein weiterer Vandale. In einer Ecke sah er die unverkennbare Menge, die die Jäger-Vorhut umgab, wann immer er außerhalb der Stadt war. Er arbeitet sich durch die Schaulustigen voran, um eine Position neben Cayde einzunehmen. Der Jäger bemerkte ihn, da war er sich sicher, doch sagte nichts. Variks war ebenso still. Er beobachtete, wie er ein paar tausend Glimmer und eine Pistole an einen von Spiders Leibwachen verlor. Cayde ließ ein Messer in seiner rechten Hand kreisen und seufzte dramatisch. „Wenn wir reden wollen, musst du mir was zu trinken spendieren.“ Sie fanden einen ruhigen Platz am Ende des Raums. Cayde ließ sich in der Nische nieder und wartete. „Du erweist dem Riff einen großen Dienst, ja?“ Variks arbeitete hart daran, leise zu sprechen. Es wäre eine Schande, wenn seine Stimm-Synthese versagen und er quer durch den Raum schreien würde. „Fängst Barone. Verbrecher. Für die Erwachten. Für Petra.“ Cayde rülpste laut und stellte sein leeres Glas auf den Tisch. Da war ein harter Zug um seine Augen. Unglaublich, wie ausdrucksstark Exos sein konnten. „Komm zur Sache, Variks.“ „Fokrul. Der letzte Hohn-Baron. Er lebt.“ Caydes Horn schnitt einen Bogen in die Luft und er schüttelte den Kopf, zweimal, mit Bestimmung. „Vertrau mir, er ist tot. Hab ihm ein heißes Loch verpasst, genau hier.“ Er stach mit dem Finger genau in die Mitte von Vakris Brust. „Gesehen auf der Erde. Ich habe Wissen. Ich habe Informationen. Du weißt, Eliksni haben ihre Wege. Wie Mithrax? Wie Taniks?“ Der Wärter erkannte seinen Fehler, kaum dass der Name seinen Mund verlassen hatte. „Erwähne NIEMALS den Namen Taniks in meiner Gegenwart, verstanden? Nicht, solange du nicht deine letzten zwei echten Arme verlieren möchtest. Wir sind fertig. Geh. Du bringst Unglück.“ Der Jäger stand auf, um aufzubrechen. Variks ergriff Caydes Arm mit einer seiner mechanischen Hände. „Es tut mir leid. Ich sprach unbedacht. Bitte. Hör zu.“ Cayde schüttelte die Hand ab und stand aufragend vor dem Gefallenen. Variks richtete sich weiter auf in der Nische. „Bring mich zu Zavala.“ Der Name der Titanen-Vorhut war ein punktiertes, fließendes Stottern in seinem Mund. „Ich habe Informationen. Ihm wird gefallen, was ich sage. Und dir danken, mich zu ihm gebracht zu haben.“ Cayde blinzelte. „Du willst, dass ich dich in die Stadt bringe? Vergiss es, Käfer. Nicht in einer Million ...“ Krachend ließ Variks die Handfeuerwaffe, die er unter seinem Umhang verborgen hatte, auf den Tisch fallen: ein fades Braun, mit Borsten versehen, Abzug und Mündung mit Äther-Technologie. Caydes Augenbrauen schossen überrascht in die Höhe. „Ein Geschenk, als Vertrauensbeweis. Erinnerung an das Riff. Verbessert, ja? Sehr tödlich.“ Cayde versuchte, seine Aufregung zu verbergen. „Ist ... ähm ... Ist das die Letzte? So eine habe ich nicht mehr gesehen seit ...“ „Eine der Letzten. Nicht mehr viele übrig.“ Variks Stimme war weich, ruhig. Cayde griff die Waffe auf dem Tisch. Er prüfte das Visier, drehte sie einen Moment lang in seiner Hand, um das Gewicht zu spüren. Grunzte zufrieden. Nickte. „Wie gesagt: Du bringst Unglück. Na los, du kannst mit mir fahren.“

Hochschätzung
Lore
Variks hatte den Vorhut-Commander zuvor noch nie persönlich getroffen. Die Bilder, die er gesehen hatte, waren entweder von mäßiger Qualität, von Agenten gemacht, oder sie stammten von einer gemeinsamen Überwachung und enthüllten nicht die wahre Statur des Mannes. Das meiste von Zavalas Masse war, wie er erkannte, die Rüstung. In Wahrheit war er ein sehniger Mann mit straffen Muskeln. Doch als Variks vor ihm stand, erkannte er, dass Zavalas Haltung und Selbstsicherheit sowie sein Licht den Raum um ihn herum einnahmen, ihm eine Autorität verliehen, wie sie Variks nicht mehr gespürt hatte, seit er in der Gegenwart von Mara Sov persönlich gestanden hatte. Selbst Cayde, ausgerechnet Cayde, schien in der Nähe dieses Mannes verändert. Faszinierend. Hinter dem Licht und der Haltung konnte Variks erkennen, wo die große Kraft von Zavala endete und Beunruhigung begann. An dieser Stelle musste Variks ihm begegnen und seinen Wert beweisen. „Vorhut-Commander Zavala.“ Variks fiel auf die Knie und legte seine Hände, die Handflächen nach oben gerichtet, auf den Boden, ohne den Augenkontakt zu verlieren. Eine Urteilsgeste, die bedeutete, dass anerkannt wurde, dass eine dominante Kraft anwesend war. Cayde kicherte hinter ihm, sagte jedoch nichts. „Variks ist gekommen, um Hilfe anzubieten. Um der Vorhut zu helfen; den Hütern, die dem Riff geholfen haben.“ Zavala starrte Variks nieder. Der Urteils-Schriftgelehrte erkannte viel in diesem Moment. Tapferkeit. Intensität. Verzweiflung. „Auf die Beine, Variks.“ Zavala war es gewohnt, Befehle zu geben und dass sie befolgt wurden. Variks tat, wie ihm geheißen. „Was willst du?“ „Eine Zukunft für das Riff.“ Zavalas Augen schienen ihn zu durchleuchten. Variks räusperte sich und fuhr fort. „Die Riffgeborenen stehen kurz vor dem Untergang, Zavala, der Erwachte. Gefallene, Besessene, die Rotlegion – sie alle schaben am Riff, verlangen nach seinem Fleisch.“ „Ich habe Petra mein Angebot nach dem Krieg gemacht.“ Seine Stimme war schroff, aber nicht gefühllos. „Sie hat ihre Wahl getroffen. Sagst du, etwas hat sich geändert?“ „Das sage ich, Commander“, brach es aus Variks hervor. „Und ich habe einem großen Anführer wie dir noch so viel mehr zu sagen.“

Unbekannter Raum
Lore
Das Licht schien blau über dem Horizont des Unbekannten Raums zu tanzen. Alles andere war schwarz. Die Ranken schienen mit dem Licht zu wachsen. Er konnte nicht begreifen, woher sie sich erstreckten oder worauf zu. Furcht ergriff Variks' Verstand. Die Wege vor ihm waren unermesslich, unsicher. Und zum ersten Mal in seinem Leben konnte er ein in sich gewandtes Urteil spüren. „Dein Wille muss dein eigener bleiben“, sagte er sich selbst. „Du bist der letzte Eliksni von Haus Urteil. Das Schicksal deines Volkes liegt in deinen Händen. Du wirst sie retten. Du wirst aufrecht stehen für die Gefallenen.“ DEIN SCHEITERN LÄSST DICH UNTER IHNEN WANDELN. Die Stimme, sanft und doch so stark, erklang um ihm herum im Raum. Sie erklang in ihm, als sei er die Saite eines Instruments. „Ich wandele unter den Kindern der Erde und den Gesegneten der großen Maschine, des einen, den man den Reisenden nennt, weil sie mich auserwählt haben.“ FÜR DICH IST DIE GROSSE MASCHINE EIN DUNKLER SPIEGEL. Variks spürte eine Kälte wie niemals zuvor. Erinnerungen zogen ungebeten an ihm vorbei. Er konnte nichts weiter tun als abzuwarten, während die letzten Tage der Eliksni in seinem Verstand abgespielt wurden. Er und die anderen Schriftgelehrten, die in ihren weichen, mit Fell besetzten Roben Urteile fällten. Dann der Wirbelwind, die Ältesten, die entzwei gerissen werden, die Plünderung des Hauses. Variks, kniend vor einem Fenster, den Blick auf die große Maschine gerichtet, beobachtet, wie sie verschwindet. Die lange Reise in die Dunkelheit. Seine Flucht mit den Wölfen, sein Flehen an Skolas. Der Pakt mit Fokrul, Kaliks Primus abzuspalten und zu verbergen. Das Verschwinden des Primus ... Und wieder Fokrul, am Horizont, der sich bereit macht, den Gefallenen zu geben, was ihnen rechtmäßig zusteht ... ES GIBT HIER NUR EINEN WEG FÜR DICH, AN EINEM ORT, WO ALLES STIRBT ... ... UND ERNEUT BEGINNT. Bei diesen Worten entbrannte eine neue Kraft, die es ihm ermöglichte, sich zu erheben. Das Urteil war gefällt ... Der kreischende Impuls des Gefängnisalarms ließ Variks erwachen. Über Funk hörte er Petras Stimme. Cayde war zurück.

Zwei Zellen
Lore
Petras verlangte nicht nach einer, sondern gleich nach zwei Zellen. Variks nahm sein Äther und dachte nach. Vielleicht hatte Cayde endlich Fokrul gefunden, und dafür würde Variks jedes Quäntchen Stärke brauchen, das er kriegen konnte. Seine Schritte waren lang und langsam, als er den Äther durch seinen Körper strömen ließ. Und mit jedem Schritt wurde seine Haltung aufrechter und imposanter. Ganz oben im Mac-Sec-Flügel schnellten Seine Hände über die Bedienkonsole. Er bereitete die zwei leeren Zellen vor und forderte Extraktions-Servitoren an, während er sich in dem Gedanken an das Urteil für Fokrul suhlte. Als alles bereit war, schritt er zurück und wartete. Knurrend und schreiend wurden die Gefangenen in den Flügel geführt. Einen, eine Eliksni, stieß Petra mit Kraft in eine der Kryo-Zellen. Der Gefallene landete geschwächt und Petra versiegelte die Zellentür. Variks war nur zu erfreut zu sehen, wie der bullige, in Ungnade gefallene Fokrul – der Rettungsanker der Hohn-Barone, sein einst vertrauter Mitverschwörer und großer Verräter – schäumte, als die Servitoren zum Leben erwachten und den ketzerischen Archon von seinem kostbaren Äther trennten. Variks und Fokrul blickten sich tief in die Augen. Jahrhunderte der Geschichte wurden im Moment eines Herzschlags zwischen den beiden ausgetauscht. Fokrul lachte. Verunsichert trat Variks zurück, als Cayde eine heruntergekommene humanoide Form hereinzerrte, den Kopf unter einem Sack verborgen, das Gesicht ungesehen. Ohne das geringste Zeremoniell riss Cayde die Kapuze fort und stieß den Humanoiden – einen Erwachten – in die offene Zelle. „Und bleib gefälligst hier!“, sagte Cayde. Sein Witz war eher flach. Auf Händen und Knien blickte der Fremde zu seinen Wärtern auf und enthüllte ein bekanntes Durcheinander aus rabenschwarzem Haar, blauer Haut und stechenden, gelben Augen. „Variks ...“ Es war das Gesicht von Uldren Sov – Bruder der Königin, Prinz der Erwachten und Erbe des Riffs.

Neu kennengelernt
Lore
„Euer Gnaden ...“ Variks konnte nicht anders, als ihn mit seinem Titel anzusprechen. Es war ein Reflex. Als er in die Augen des Prinzen blickte, sah er den flüchtigen Schatten der Dunkelheit über ihren gewöhnlichen, ätherischen Glanz tanzen. Variks blickte zurück zu Petra. „Petra Venj ... Ich ... Ich verstehe nicht.“ „Ich weiß. Es ist ... Irgendetwas stimmt nicht mit ihm Variks. Er ist ... verrückt. Sperr ihn ein. Sperr den gesamten Zellenblock ab. Niemand kommt rein oder raus außer uns beiden. Sprich mit niemandem darüber. Soweit es das System betrifft, ist Uldren Sov über dem Saturn gestorben.“ Variks sah Cayde an auf der Suche nach Antworten, doch der Exo streckte nur verteidigend seine Hände in die Höhe. „Sieh nicht mich an. Prinz Jammerlappen und Fokrul waren wie Pech und Schwefel, als wir sie fingen. Ich stand kurz davor, mindestens einen von ihnen zu erschießen.“ Petra nickte in Richtung der königlichen Zelle, und Variks, mit nur dem Hauch eines Zögerns, versiegelte Tür, um Prinz Uldren einzusperren. „Variks“, sagte Cayde mit sanfterer Stimme als jemals zuvor, „lass mich wissen, wenn Fokrul je für die Arena ausgewählt wird. Er und ich, wir müssen noch eine Unterhaltung beenden.“ „Natürlich. Natürlich.“ Variks bemerkte, dass Petras Auge ein wenig zu lang auf der Zelle des Prinzen verweilten. Er konnte sehen, dass sie aufgewühlt war, beschämt. Petra sah Variks' Ausdruck und gewann augenblicklich ihre Fassung zurück, drückte den Rücken durch und war wieder ganz Zorn. Sie erwiderte seinen Blick. Er konnte Sorgen und ihre Scham sehen. „Variks. Mein Freund.“ War das Zärtlichkeit, die Variks in Petras Stimme hörte? „Er hat sich verändert. Seine Augen ...“ Sie hielt inne, begann von vorn. „Wenn er spricht, hör ihm nicht zu. Er erzählt Lügen. Schreckliche Lügen.“ Mit diesen Worten wandte sie sich ab und ging, Cayde folgte ihr. Die Türen zum Zellenblock fielen krachend hinter ihnen zu. Variks stand lange Zeit dort. Zum ersten Mal in seinem Leben kannte er nicht den nächsten Schritt, den er gehen sollte. Petra Venj und Uldren Sov hatten einander lange bewundert. Wenn sie zusammen waren, gab es eine Unbekümmertheit zwischen ihnen und eine tiefe, unausgesprochene Zuneigung. Und wenn die beiden auf dem Schlachtfeld ihre Kräfte vereinten, waren sie schnell, effektiv und gefährlich. Sie tanzten den Tanz des Todes, und wehe dem Feind, der ihnen im offenen Kampf gegenüberstand. Variks wunderte sich, für welches Verbrechen Petra Uldren verurteilen würde. Als er die Zelle des Prinzen wieder öffnete, fragte er sich, ob Petra Variks wohl auch verurteilen würde. Variks kniete vor Uldren. „Wir dachten, Ihr wäret tot. Doch Ihr seid jetzt in meiner Obhut.“ Seine Arme strichen vorsichtig über den Erwachten, testend und doch sanft. Uldren blinzelte und sah ihn an, doch eigentlich sahen seine goldenen Augen eher auf einen Punkt hinter ihm. Variks blickte über seine Schulter, um sicherzugehen, doch natürlich war niemand dort. „Schwester ...“, krächzte Uldren durch trockene, gerissene Lippen. „Was soll aus uns nun werden?“

Revolution
Lore
Die Explosion der Servitoren riss Variks aus den Worten des Prinzen. Er versuchte, sich schnell zu bewegen, doch sein Fuß verfing sich auf dem zerfurchten Steg und er taumelte zu Boden. Er sah auf und sah, dass die Extraktions-Servitoren zerschmettert und leblos am Boden lagen, zischend vor in die Luft aufsteigendem Äther. Variks erhob sich langsam mit vorsichtigen Bewegungen, unsicher, wer oder was entkommen sein könnte. Er überprüfte jedes Siegel an Fokruls Zelle, bevor er allen Mut zusammennahm, um durch die Luke zu blicken. Fokrul wirkte unberührt. Wenn es überhaupt eine Veränderung gab, sah er kräftiger aus als zuvor. Er stand in der Zelle mit funkelnden Augen und einem teuflischen Grinsen im Gesicht. „Ist mein Äther etwa zu ... bitter?“, knurrte er. Tatsächlich konnte Variks sehen, dass mit dem Äther etwas nicht stimmte. Er war dunkler, verunreinigt mit etwas, das er nicht identifizieren konnte. Er versiegelte seine Maske noch dichter und untersuchte die Überreste der Servitoren, besorgt, dass, was auch immer sie von Fokrul extrahiert hatten, giftig sein könnte. Er bewegte sich durch das neblige Gas wie durch Wasser. Er verflüchtigte sich nicht wie normaler Äther. Nein, er hing schwer und opak in der Luft. Variks trat wieder an Fokruls Zelle und aktivierte das Übertragungsmikrofon. „Fokrul, asaalii akisoriks“, zischte er. Er sprach die hohe Sprache des Urteils in der Hoffnung, dass Fokrul das älteste Gesetz noch respektieren würde. „Ah, Variks. Du klammerst dich an das Urteil wie Rain sich an die Lügen klammerte.“ Fokrul spuckte ihm die Worte entgegen, wie ein Hausloser es tun würde. „Du bist ein Hausloser. Du bist Dreck. Hast du DAS mit Kaliks gemacht? Hast du den letzten Primus den Besessenen serviert? Ist das das Blut, das du jetzt atmest?“ „Ha! Du denkst immer noch, ich hätte Kaliks. Narr. Kaliks hat uns verlassen. Aber mein Äther ... Es ist wahr, Fokrul ist kein Sklave des Äthers der Maschine mehr. Dank der Gnade des erwachten Vaters habe ich mich weiterentwickelt.“ Variks sah zur Zelle des Prinzen, die noch immer offen stand. Der erwachte Vater ... Mit vorsichtigen Schritten kehrte Variks zum Prinzen zurück. Mit jedem Schritt konnte er es deutlicher hören. Er sah, dass Uldren nun aufrecht saß, nickte, zuhörte, in den Schatten etwas Ungesehenes ansah. Wenn es je einen Anblick boshaften Wahnsinns gab, dann diesen. Der Prinz sprach. „Ja, Schwester. Ich sehe es jetzt. Die Armee der Verschmähten, die du mir versprochen hast ...“

Der Funke
Lore
Variks, der stets Loyale, tat, was Petra befohlen hatte: Der Zutritt zum untersten Zellenblock war strikt beschränkt auf den Wärter und die Befehlsregentin. Das bedeutete jedoch auch, dass jede untergeordnete Aufgabe ihm zufiel. Essensausgabe. Abfallbeseitigung. Durch die acht Barone und den Prinzen der Erwachten blieb ihm daher nur noch wenig Zeit für das Urteil. Dreimal am Tag suchte er den Zellenblock auf. Und dreimal am Tag musste er sich Ausreden für die lokalen Korsaren-Einheiten überlegen, um die Sperrung der untersten Ebene des Gefängnisses zu erklären. Gerüchte machten die Runde. Es war kein Geheimnis, dass Petra und Cayde-6 einen unbekannten, wertvollen Gefangenen hineingeschmuggelt hatten – und dann auch noch einen humanoiden Gefangenen, was, wenn die Gerüchte stimmten, etwas Neues für das Gefängnis der Alten wäre. Doch Variks versicherte allen mit Überzeugung, dass sein Urteil über die Hohn-Barone ein heikler Vorgang sei, der in Zurückgezogenheit vollzogen werden müsse. Petra war nicht hilfreich dabei, den Aufruhr zu unterdrücken. Sie war weniger geübt in der Kunst der Geheimhaltung, und alle wussten es. Jeder verwegenen Frage entgegnete sie ein strenges: „Das ist nicht deine Sache!“, was gleichbedeutend war mit einer Bestätigung, dass zumindest eine Version der Gerüchte stimmen müsste. Wenn sie doch nur mehr Gefallen an ihrer Techian-Ausbildung gehabt oder mehr von der Königin gelernt hätte. Jedes Mal, wenn Variks seine Runden machte, fragte er sich, welches Maß an Loyalität er – wenn überhaupt – dem Prinz schuldete. Und jedes Mal ließ er davon ab, sobald er Zeuge des wirren Geredes des Prinzen wurde. An diesem Tag war es nicht anders. Dort saß Uldren, die Ellbogen auf den Knien, den Blick in dieselbe dunkle Ecke der Zelle gerichtet, das Gesicht verborgen durch sein langes, schwarzes Haar, und hielt augenscheinlich Zwiesprache mit nichts und niemandem. „Ich sehe es jetzt ... Ja, das ist gut, so gut.“ Wieder das Zuhören, wieder das Nicken. „Dann werden wir es so machen. Und schau, Schwester, er ist bereits hier.“ Uldren verfiel in Schweigen, nun merklich entspannter. Nach einem Moment blickte er über die Schulter und durch die Luke, um Variks' Blick zu erwidern. „Euer Gnaden“, sprudelte es aus Variks. „Variks, der Loyale.“ Uldren setzte ein hämisches Grinsen auf. „Variks, der Funke. Hast du mir etwas zu sagen, oder bist du zufrieden, die lauschende Krähe zu spielen?“ Und da war sie wieder, die flüchtige Dunkelheit, die für einen kurzen Moment den Glanz in Uldrens Augen auslöschte. Und so sagte Variks nichts. Er wusste selbst nicht, ob aus Furcht oder weil er nicht wusste, was er sagen sollte. Uldren lehnte sich vor und legte einen Finger auf seine Lippen. Dann sprach er mit leiser Stimme: „Ich habe ein Geheimnis für dich, Variks. Ich weiß, dass du es hören möchtest.“ Variks antwortete mit einem einzelnen, zögerlichen und kaum wahrzunehmenden Nicken. „Dein Kell lebt“, flüsterte Uldren. Er lehnte sich noch ein wenig weiter vor und stellte die eine Frage, die Variks nie zu beantworten in der Lage gewesen war: „Weißt du, wem deine Loyalität WIRKLICH gebührt, Variks?“ Uldren wartete nicht auf eine Antwort. Seine Augen schossen über seine Schulter in die dunkle Ecke, die zu seiner Obsession geworden war. „Natürlich können wir ihm vertrauen, Schwester. Er ist der Loyalste ...“

Seelenkette
Lore
Variks bewunderte sein Meisterwerk, die verbesserte Servitoren-Kette, die endlich die Geheimnisse seines fanatischen ehemaligen Freundes enthüllen würde. Leider weigerte sich Fokrul, von der Vergangenheit zu sprechen, und sprach ausschließlich von der Zukunft. Oder von Uldren, seinem erwachten „Vater“, der ihn vom Rand des Todes gefischt und mit einer Kraft ausgestattet hatte, wie man sie noch nie bei den Eliksni gesehen hatte. Eine Kraft, um ihr Volk neu zu erschaffen und in einem Universum aus Licht und Dunkelheit zu gedeihen, das sie sowohl vergessen als auch verschmäht hatte. Variks selbst kannte diese Gefühle nur zu gut. Es war hier, in den tiefsten Katakomben des Gefängnisses der Alten, wo er gedieh, wo er daran arbeitete, die Eliksni wiederaufzubauen. Das hier war nun seine Heimat, sein Arbeitsplatz, wo er frei war, das Potenzial der Insassen zu untersuchen, um es später einmal zu nutzen. Das Smaragdmark der Schar, die prismatischen Viren der Vex, Wellenlängen der Psion-Schinder – jedes dieser Geheimnisse wurde in diesen dunklen Hallen freigesetzt und in seinem Netzwerk für weitere Geheimnisse gehandelt oder zu Waffen für die Erwachten gemacht. Doch die Geheimnisse von Fokruls ... Mutation ... waren für ihn nicht greifbar. Seine Kraft war offenkundig. Auf dem Boden verstreut lagen die Beweise dafür – sowie für zu viele Nächte des Scheiterns: zerstörte Wächter-Servitoren, Dutzende geleerter Geächteter, alle aus den oberen Zellenblöcken als seine „Assistenten“ zur Hilfe geholt. Was auch immer das für ein kaltes, unnatürliches Gemisch war, dass durch Fokrul strömte, es konnte nicht übertragen oder aufgenommen werden wie der Äther, den sein Volk brauchte, um ihre elenden Leben zu führen. Variks war nahe dran aufzugeben und Fokrul in die Arena zu schicken, um Cayde-6 gegenüberzutreten und dem Vermächtnis der Hohn-Barone ein Ende zu bereiten – bis Uldren eines Tages Variks während seiner Runden ansprach. Da war Klarheit in den Augen des Prinzen, eine Klarheit, die selbst damals nicht existierte, bevor er über den Ringen des Saturns verschwand. Uldren gab Variks eine neue Perspektive. Daher auch die Kette. Es war ein gefährliches Spiel, Fokruls verseuchten Lebenssaft mit traditionellem Äther zu mischen. Diese Servitoren beinhalteten siebzig Prozent von Variks' Äther-Reserven. Wenn der Versuch scheitern würde ... Nun, dann wäre es das erste Mal, dass Variks alles aufs Spiel gesetzt und verloren hätte. Variks legte den Schalter um. Das Summen des Servitors wurde lauter, doch er hörte nur das ewige Echo von Uldrens giftiger Frage: Weißt du, wem deine Loyalität wirklich gebührt, Variks? Doch wenn es funktionierte – könnte Fokrul vielleicht geheilt werden. Und vielleicht konnte Uldren – wenn sich Variks Befürchtungen als wahr herausstellten und Fokruls Korrumpierung mit der des Prinzen verbunden war – auch geheilt werden. Variks hatte dies Petra erzählt, doch sie weigerte sich zuzuhören. „Du wirst keine Experimente am Prinzen durchführen.“ „Unser Prinz ist krank. Ihn hierzubehalten ... versteckt vor den Blicken der Erwachten ... ist nicht richtig. Nicht richtig.“ „Ich habe meine Entscheidung getroffen, Variks.“ Variks spannte die Finger an. „Petra, die Loyale ...“, feixte er. „Vielleicht sind die Gerüchte von Kamala Rior doch wahr?“ Petras Auge brannte. „Ich kümmere mich um Uldren. Du – wirst ihn nicht – anfassen.“ Sie hatte rasch kehrtgemacht und war hinausgeschritten. Seitdem hatte Variks sie nicht mehr gesehen. Er widmete all seine Zeit der Servitor-Kette – und seinen eigenen Gedanken.

Wem Loyalität gebührt
Lore
Variks Experiment hatte Erfolg, doch nicht den erwarteten. Die Aufnahme des Äther-Präparats führte noch immer zum Tod der Gefallenen. Es handelte sich keinesfalls um eine lebenserhaltende Substanz. Es handelte sich vielmehr um eine lebens-STIFTENDE Substanz. Auch wenn der dunkle Äther für gewöhnlich wie schwerer Nebel in der Luft stand, schien er sich nach leeren Gefäßen auszustrecken. In diesem Fall fand er die toten Geächteten, die überall auf dem Fußboden herumlagen. Er drang in die Leichen ein wie eine langsame Inhalation, blähte sie auf, bis sie kurz davor standen zu platzen, und stellte sie auf die Füße. Der dunkle Äther gab den leblosen Geächteten ... neues Leben. Sie schäumten. Ihre Atmung war gleichmäßig, aber hart und schnell. Sie grummelten, als würden Vulkane in ihrer Brust leben. Ein schwarzes Feuer stieg aus ihrer Haut hervor, als sie den dunklen Äther verbrannten wie eine Turbine den Treibstoff. Was Variks vor sich sah, war angetrieben von reinem Hass und der Beginn eines neuen Wirbelwinds. Sie waren nicht mehr nur Gefallene. Fokrul nannte sie „den Hohn“. Fokrul hinter ihm lachte und lachte und lachte, bis er urplötzlich aufhörte – genau in dem Moment, in dem der Hohn zu Boden fiel, erneut tot. „Eure Schriftgelehrten, eure Kells, eure Häuser – sie werden schon bald vergessen sein wie die Ältesten und die Skaith vor ihnen“, knurrte Fokrul in Variks kostbarer hohen Sprache des Urteils. Variks trat näher an die Zelle, bis sie sich von Angesicht zu Angesicht durch die Luke ansahen. Fokrul wandte sein Ohr nach oben, lauschend, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder Variks zuwandte. „Vater sagt ...“, die Pause lag schwer in der Luft. „Vater sagt ... du weißt, wem deine wahre Loyalität gebührt.“ Der Fanatiker trat von der Luke zurück und wartete. Loyalität. Wahre Loyalität. Er erwartete, dass eine Erinnerung von Mara in seinem Geist auftauchte. Doch stattdessen – Doch stattdessen dachte er an die Prophezeiungen des Haus des Regens. Kell der Kells. Tage später ging Variks seinen Pflichten zum letzten Mal nach. Er suchte die zentrale Steuerung auf; führte eine Testsimulation an den Sicherheitssystemen durch und nahm aufgrund der Ergebnisse einige Anpassungen vor; überarbeitete und unterschrieb die tägliche Personalrotation. Zuletzt führte er ein privates Gespräch mit dem letzten verbliebenen hohen Servitor des Gefängnisses. Das Gefängnis der Alten würde nicht ohne Wärter zurückbleiben. Er sprach nicht mit Petra. Am Ende des Tages versank das Gefängnis der Alten im Chaos. „Deine Zeit wird kommen, Variks.“ Uldren saß an seiner bevorzugten Stelle und starrte in seine bevorzugte Richtung. „Sie hat es mir gesagt. Sie hat nur noch eine Bitte an dich.“ „Nein, Euer Gnaden.“ Variks' Stimme bebte vor Emotionen. „Ich bin es, der Euch noch einen letzten Dienst erweisen will.“ Variks ging, bevor er seine Meinung ändern konnte. Eine Sirene ertönte. Die Stimme des hohen Servitors erklang aus den Lautsprechern – mit Variks Stimme. „Versagen der Sicherheitssysteme. Notabschaltung und Neustart eingeleitet.“ Es wurde augenblicklich dunkel, doch bald schon warf die Notbeleuchtung ihren Schein auf den Zellenblock. Überall um ihn herum ertönte Alarm, Warnleuchten blitzten auf, Pneumatik zischte und kryogene Flüssigkeit verdampfte, als sich die Kryo-Zellen des Zellenblocks zu öffnen begannen. Variks ging so schnell er konnte auf den Ausgang zu. Er machte sich nicht die Mühe, sich umzublicken, denn er wusste, was er sehen würde. Die Hohn-Barone und Prinz Uldren waren frei. Genau wie jeder andere Insasse des Gefängnisses der Alten. Variks schlüpfte hinaus, im Schutz der Anarchie, die nun im Gefängnis herrschte, durch den gleichen geheimen Gang, durch den Petra und Cayde Prinz Uldren hineingeschmuggelt hatten. Ein Schiff wartete dort auf ihn, beladen mit den Äther-Reserven des Gefängnisses. Während er ging, machte er zwei Aufnahmen, die an die Gefängnis-Relais geschickt werden sollten, sobald er verschwunden war. Für die erste deaktivierte er seine Stimm-Synthese und begann, mit dem tiefen Klang der hohen Sprache Befehle zu erteilen. Er wusste nicht, wie viele dem Urteilsruf antworten würden. Aber er musste es versuchen. Für die zweite Aufnahme stellte er seine Stimm-Synthese wieder an. „Sie nennen mich einen Verräter. Mich, der am loyalsten war. Sie denken, ich höre diese Worte nicht. Käfer. Insekt.“ Er macht eine Pause. „Gefallener.“ Er ging jetzt mit schnellen, langen Schritten die Rampe zum Schiff hinauf. In Richtung Kommandobrücke. Ein Vandale in den Farben des Hauses der Wölfe salutierte ihm beim Vorbeigehen. „Ich höre die Worte. Das Haus des Urteils hört alles. Es gibt keine andere Wahl, außer die Häuser beisammen zu halten.“ Er machte erneut eine Pause, als er die Kommandobrücke des Schiffs erreichte. „Das Urteil hört alles.“ „Die Große Maschine diente dem Urteil. Eliksni fielen im Kampf. Fielen dem Hass zum Opfer.“ Emotion mischte sich in seine Stimme. „Ich kann den Hass nicht ertragen.“ Als er sprach, sprangen die Motoren des Schiffs brummend an. Auf den Bildschirmen konnte Variks Explosionen sehen, die das Gefängnis erzittern ließen. Seine Sprengladungen sorgten für Chaos. Sein Schiff bahnte sich seinen Weg durch die Barriere des Docks und flog davon. „Es gibt keinen Ort mehr, an den ich gehen kann. Es gibt niemanden mehr, der hier sein kann.“ Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf. „Und so werde ich zu Variks, dem Kell. Dem Eliksni-Botschafter des Hauses des Urteils.“ „Keine andere Wahl“, wiederholte er mit einem tiefen Kichern. Seine Stimme war ruhig. „Die Eliskni müssen auferstehen ... ja?“