
Leichtere Tage
Lore
Ich kenne Zavala schon sehr lange, weißt du. Er war einer der Ersten, die mich vor all den Jahren im Turm begrüßt hatten – wobei „begrüßt“ es nicht ganz trifft. Dieses Wort würde immerhin Freundlichkeit und Wärme andeuten. Und Zavala ... du kennst ihn ja. Er kann ein wenig streng sein. Seit der Roten Schlacht ist er noch verschlossener geworden und es tut mir weh, das zu sehen – wobei es uns allen in gewissem Maße so geht. Auf jeden Fall hat dieses erste Treffen einen schlechten Beigeschmack bei mir hinterlassen. Es ist mir unangenehm, zuzugeben, dass ich Zavala danach immer vermieden hatte, wenn ich konnte. Aber manchmal ist er einfach unvermeidbar. Nicht lange nach dieser ersten Begegnung habe ich meinen ersten Anbruch im Turm gefeiert. Alle waren gut gelaunt und es war so schön zu sehen, wie die Leute, die ich liebgewonnen hatte, lächelten und einander zuprosteten. Ich weiß noch, dass Tess und ich gerade ein wenig dekoriert hatten und sie kurz gegangen war, um etwas zu holen, als Zavala zu mir kam. „Oh, nein“, dachte ich. „Oh, nein, nicht dieser Kerl.“ Aber er kam trotzdem zu mir. Also lächelte ich und wünschte ihm einen frohen Anbruch – weil ich ihm WIRKLICH nur alles Gute wünschte. Es sind häufig die Ernstesten unter uns, die die traurigsten Herzen haben. Er wünschte mir das gleiche, und dann – ich konnte es kaum glauben – lächelte er! Wir tauschten ein paar Nettigkeiten aus ... ich weiß nicht mehr, was ich gesagt hatte, doch plötzlich sagte er: „Oh, das erinnert mich an einen Witz!“ Ein Witz! Zuerst dachte ich, ich hätte ihn falsch verstanden, weil der Anführer der Titanen mir immer als der Typ „keine Zeit für Witze“ erschienen ist. Aber er hatte kaum angefangen, als ich bemerkte, dass seine Haltung entspannter war. Scheinbar hatte die Festtagsstimmung sogar diesen Mann aus Stein erweicht. Heute erinnere ich mich nur noch an Teile seines Witzes – es hatte irgendwas mit einem Hüter und einem Gefallenen-Captain zu tun – aber ich erinnere mich noch genau daran, dass er über die ersten paar Worte stolperte und von vorne anfangen musste. Ich gab ihm mein wärmsten Lächeln, um ihn zu ermutigen, und letztendlich erzählte er mir den längsten und seltsamsten Witz, den ich je gehört hatte. Und trotzdem genoss ich jede Sekunde. Ich hätte wirklich nicht glücklicher sein können. Oh, ich applaudierte und lachte mit der wahren Freude, die Zavala ausstrahlte. Zu sehen, wie sich eine so zurückhaltende Seele öffnet – es gibt nur wenige Dinge, die schöner sind. Ich bewunderte ihn in diesem Moment so sehr dafür, dass er die Grenzen überwinden konnte, die er sich selbst auferlegt hatte. Ich weiß noch, wie ich hoffte, auch eines Tages so mutig sein zu können. Zum ersten Mal respektierte ich ihn nicht nur als einen der Anführer der Stadt. Zum ersten Mal empfand ich echte, tiefe Zuneigung gegenüber Zavala als Person. Gegenüber Zavala als meinen Freund. Seitdem liegt er mir sehr am Herzen. --- Gjallarhörnchen: Mische Äther-Stange und Leckere Explosion, füge Anbruch-Essenz hinzu, dann backe alles.

Traditionen sind wichtiger als du
Lore
Als Tess mir erzählte, dass die Androiden den Anbruch im neuen Turm organisiert hatten, während ich auf der Farm war, dachte ich, dass sie das doch nicht ohne mich machen konnten. Doch dann sagt ich mir: Eva, diese Traditionen sind wichtiger als du. Sie leben in den Herzen und Köpfen der Leute, die sie von Generation zu Generation weitergegeben haben! Jetzt bin ich wieder zurück im Turm und versuche dabei zu helfen, das bisher schönste Anbruch-Fest auf die Beine zu stellen. Und ich führe eine Tradition weiter, dich ich jedes Jahr wiederholen werde: Ich bitte Ikora, den Anbruch-Kristall zu machen und ich bitte sie solange, bis sie es tut. Ich mache einen Termin mit ihr aus, um die Dekorationen zu besprechen, aber ich weiß, dass sie sehr beschäftigt ist mit wichtigen Vorhut-Angelegenheiten. Deshalb halte ich mich etwas zurück, als ich mich ihr nähere und leise Stimmen höre. Statt einfach vorzupreschen, recke ich nur den Hals ein wenig. Ikora murmelt – sie hört sich beinahe wütend an. „Anbruch-Dekorationen! Ich habe keine Zeit für alberne ...“ Eine männliche Stimme sagt: „Es ist nicht ‚albern‘. Die Leute brauchen das. Ich weiß, das ist hart für dich, weil es dein erster Anbruch ohne Cay...“ „Sei still, Ophiuchus. Sofort.“ Ich kann weder sehen, mit wem Ikora spricht, noch kenne ich diesen Namen, aber Ikoras Stimme war scharf. „Ich habe andere Sorgen. Was ist mit den aktuellsten Berichten aus der Wirrbucht? Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Und meine Verborgenen haben berichtet, dass sich in unserer Nähe Ärger zusammenbraut ...“ Ich bemerke, wie ihre Augen über den Hauptweg wandern – bis hin zu einer Nische mit einem fast heruntergelassenen Tor. „Ja, Ikora. Aber ...“ „Und von Osiris höre ich auch nie etwas. Nicht, dass ich das erwarten würde, aber ...“ Sie schüttelt den Kopf. „Bei allem Respekt, wieso schickst du ihm nicht einfach eine Nachricht?“ „Das könnte ich, aber ich habe einfach nicht die Zeit ...“ Sie hält inne. „Eva Levante!“ Ich gehe mit extra lauten Schritten und raschle mit den Entwürfen für den Anbruch-Kristall, als ich mich ihr nähere (ich will ja nicht, dass sie denkt, ich hätte gelauscht). Ikora beäugt mich mit verschränkten Armen. Ihr Geist schwebt neben ihrem Ohr und surrt aufmerksam. „Fröhlichen Anbruch, Ikora Rey!“, beginne ich unser Gespräch. Sie kann an meinem großen Lächeln und an der Tatsache, dass ich die Entwürfe mit Bestimmtheit vor ihr ausbreite, sehen, dass diese Sache schneller über die Bühne geht, wenn sie einfach Ja sagt. Sie respektiert unsere Tradition jedoch; zunächst sagt sie zweimal Nein und dann sagt sie „Ist gut, Eva, ist gut“. Sie glaubt jedoch nicht, dass der Kristall von Bedeutung ist; sie weicht meinem Blick aus, aber ihr Geist – ich kann sehen, wie er mir mit seinem Auge zu blinkt. Der Entwurf, den sie als Vorlage nehmen will, ist unglaublich. Wir planen, dass wir uns wieder treffen, wenn sie damit fertig ist und so sehe ich sie auf dem Basar, während ich mit meiner Assistentin Malia ein paar Dinge erledige – es gibt noch so viel zu tun! Als wir uns ihr nähern, sind Ikora und ihr Ophiuchus dicht beisammen. Sie schüttelt immer wieder den Kopf. Doch dann hebt sie ihre Arme, und plötzlich taucht ein riesiger Anbruch-Kristall im Himmel über dem Turm auf und funkelt wie eintausend Diamanten in der Luft. Malia keucht. Noch nie war sie so weit oben im Turm gewesen und sie hat den Anbruch-Kristall auch noch nie aus der Nähe gesehen; nur von der Stadt aus. Sie lässt sämtliche Pakete fallen, die sie trug. Die Vorhut der Warlocks hilft Malia dabei, sie aufzuheben und stapelt dabei ein Paket auf das andere, bis sie bemerkt, dass Malia sich keinen Zentimeter mehr bewegt und sie nur noch kniend anstarrt, ihre Augen auf die Hände gerichtet, die gerade Licht im Himmel entzündet hatten. Das vernarbte Gesicht des armen Mädchens glänzt vor Tränen und sie wischt sie mit ihrem Ärmel von den Wangen, aber sie wollen nicht versiegen. Malias Familie ist während der Roten Schlacht aus der Stadt geflüchtet. Sie haben zwar überlebt und ein neues Heim gefunden, aber trotzdem gab es nicht allzu viel Schönes in ihrem Leben. Malia berührt Ikoras Arm und stottert ein Dankeschön. Ihre Wangen werden dabei so rot wie ein Nadelkissen. Dann knie auch ich mich hin (heutzutage geht das nur etwas langsamer), um Ikora die Pakete abzunehmen – alle, außer einem, das mit einem goldenen Band umschlungen ist und das Symbol eines Auges umgeben von einer Sonne trägt. Ich nicke und drücke es ihr in die Hände, dann höre ich Ikoras Geist flüstern: „Ich habe es dir doch gesagt“. Und Ikora antwortet: „Das hast du.“ --- Reisender-Quarkbällchen: Mische Kabal-Öl und Geistesblitz, füge Anbruch-Essenz hinzu, dann backe alles.

Anbruch vor dem Anbruch
Lore
Amanda erzählte mir einmal, dass ihre Mutter Nora von einem Wüstenvolk von einem weitentfernten Ort abstammte. Nora war seit ihrer Kindheit unterwegs. Und manchmal hatte sie nicht mehr bei sich als eine alte, handgeschriebene Karte und ihre Schrotflinte. Sie brauchte nicht viel, aber sie brauchte Gesellschaft. Nora traf Amandas Vater in einem halbverlassenen Dorf, und als sie ihm von der Letzten Sicheren Stadt erzählte, da folgte er ihr. Sie hatten keine Familie außer sich selbst. Auf ihrem Weg gabelten sie andere Flüchtlinge auf. Andere verloren sie. Dann wurde ihr süßes, kleines Mädchen geboren. Es muss wirklich sehr, sehr langsam vorangegangen sein – erst mit einem kleinen Baby und dann mit einem Kleinkind. Doch sie glaubten. Sie hatten Hoffnung. Sie gingen weiter. Amanda erzählte mir von einem besonderen Anbruch, den sie draußen in der Wildnis verbracht hatten. Sie waren einer anderen Familie begegnet, die auch ein kleines Kind hatte – ihr Name war Lucia und sie war ein wenig älter als Amanda. Sie waren gute Reisegefährten füreinander. Doch dann landeten sie im Dickicht des Waldes. Der Wind heulte um sie herum und Äste wurden umhergewirbelt. Sie wussten, dass sie nicht weitergehen konnten. Zum Glück fanden sie das Wrack eines Transportschiffs und bauten unter dem rostigen Rumpf mit einer Tragfläche und Seitenteilen einen annähernd trockenen Unterschlupf, in den sich all die Erwachsenen und die zwei Kleinen hineinzwängten. Dann sagte Amandas Mutter: „Wir werden wohl eine Weile hier sein. Wir sollten also für gute Stimmung sorgen.“ Sie schickte die Erwachsenen los, um nach etwas zum Essen und Trinken sowie nach etwas, das sie warmhalten würde, zu suchen. Amandas Vater kam mit langen Pflanzenblättern zurück, die sie zu Matten flechten konnten. Die anderen brachten volle Wasserflaschen, stachelige Früchte und ein gutes Dutzend wildes Gemüse, darunter Gurken. Zusammen mit dem Trockenfisch, den sie noch hatten, war es beinahe ein Festmahl. Während die Erwachsenen arbeiteten, zwirbelte Lucia die Schale der Früchte zu kleinen Blumen, aber die kleine Amanda zappelte unruhig mit den Beinen. „Mach dich doch nützlich und bastle ein paar Dekorationen“, ermahnte Amandas Mutter sie. Sie gab Amanda Drähte, Schrauben, Muttern und eine Schaltplatte voller kleiner Lichter. Da kam Lucia mit einer alten Batterie in der Hand angelaufen. Gemeinsam machten die beiden Mädchen Mini-Girlanden mit kleinen Glühbirnen. Und Lucia zeigte Amanda, wie man die Drähte an der Batterie anbringen musste, damit die Girlanden leuchteten. Kleine, helle Lichter im großen, dunklen Wald. Amanda erzählte mir von den Früchten, die weißes, weiches Fruchtfleisch hatten und sauer schmeckten. Sie erzählte mir, wie sie gemeinsam erfundene Lieder ohne Text gesungen hatten. Wie sie nur summten und im Takt gegen die Metallwände ihres Unterschlupfs klopften. Sie weiß nicht mehr, wie diese Früchte hießen. Vielleicht gab es sie gar nicht mehr. Die andere Familie? Sie wurde von Amandas Leuten getrennt. Später starben Amandas Eltern ... wie so viele andere auf dem Weg in die Letzte Sichere Stadt. Aber Amanda Holliday bastelt diese Lichter noch immer. Mit Ersatzteilen und anderem Kram dekoriert sie ihre Werkstatt. Das macht sie für jeden Anbruch. --- Schoko-Schiff-Kekse: Mische Kabal-Öl und Null-Geschmack, füge Anbruch-Essenz hinzu, dann backe alles.

Das Gefühl zählt
Lore
Manche Bewohner des Turms sind schon sehr lange hier. Die Hüter, die Exos, der Eiserne Lord – sie haben Anbruch um Anbruch miterlebt. Selbst bevor diese Festtage im Turm gefeiert wurden, wie wir es heute gewohnt sind, gab es immer Leute, die ähnliche Zeremonien des Lichts und der Hoffnung veranstaltet hatten. Manchmal verschwimmen diese Erinnerungen. Aber das Gefühl ... das Gefühl bleibt. Während dieser Anbruch-Saison – war es letzte Woche? Die Woche davor? Ich weiß es gar nicht mehr, ha ha! – hat mir einer meiner Lieferanten erzählt, dass sie ausversehen zwei meiner Kisten an den Waffenmeister geliefert hatten. Also bin ich zu Banshee-44 gegangen, um die Sache zu klären. Der Exo konnte sich nicht an die Lieferung erinnern, aber mich erkannte er wieder und ich bemerkte, wie seine Augen ein kleines bisschen heller glühten. „Hat wohl was mit dem Anbruch zu tun“, murmelte er, als er sich umdrehte und auf ein paar Regale zuging. Mit zwei großen Kisten kam er wieder. „Sind sie das?“, fragte er. Wir öffneten die erste. In ihr fanden wir eine sehr, sehr alte Pralinenschachtel, verschiedene tragbare Kits zur Waffenreinigung, eine Ausgabe von „Jäger des Herzen“ (ich kenne den Roman, ist aber nicht jedermanns Geschmack), eine Halskette mit einem Patronen-Anhänger, die in einer kleinen Schatulle steckte, sowie Unmengen an Anbruch-Grußkarten. Ich schüttelte sanft den Kopf. „Das sind Geschenke, die Leute DIR zum Anbruch geschenkt haben, Banshee!“ Der Waffenmeister blinzelte ein paar mal und schloss dann die Kiste. Er hätte die Schokolade besser wegwerfen sollen – vielleicht nächstes Jahr. Dann wandte er sich der anderen Kiste auf seinem Tresen zu und hob den Deckel. Sie war voller Anbruch-Geschenke, die in buntes Geschenkpapier eingewickelt und mit glitzernden Bändern versehen waren. Manche Päckchen waren ganz klein, aber andere hatten natürlich Gewehrgröße. Alle Päckchen waren genauestens beschriftet. „Ich glaube, das sind die Geschenke, die du dieses Jahr an Freunde verteilst, oder?“, fragte ich mit einem Augenzwinkern. Banshee nickte einmal kräftig, während er sich die Beschriftungen durchlas. Ich bemerkte, dass einige davon detaillierte Anweisungen waren. Der Exo zuckte mit den Schultern. „Ich habe mir angewöhnt, alles aufzuschreiben. Manchmal ... kann ich mich nicht an alles erinnern.“ Mit einer Handbewegung wischte er den Gedanken beiseite. „Alles klar.“ „Ich brauche immer noch meine Lieferungen. Die Kisten, wegen denen ich gekommen bin?“, half ich ihm auf die Sprünge. Er neigte den Kopf für einen Moment und hob dann einen Finger. „Oh, ich weiß, wo sie sind.“ Doch bevor er seine Kisten wegbringen konnte, tippte ich auf sie und sagte: „Die hier solltest du beschriften mit ‚Alte Anbruch-Geschenke‘ und ‚Neue Anbruch-Geschenke – müssen noch verschenkt werden‘.“ Er nickte mir zu und kritzelte auf die Deckel. „Ich vergesse meine Freunde zum Anbruch nie“, erzählte er mir mit Nachdruck, während er mir meine Pakete überreichte. „Das freut mich. Fröhlichen Anbruch, Banshee!“, antwortete ich und drückte seinen Arm. Ich hoffe, er vergisst nicht, die Schokolade wegzuwerfen. --- Telemetrie-Tapioca: Mische Vex-Milch und Kugel-Spray, füge Anbruch-Essenz hinzu, dann backe alles.

Unsere Entscheidungen definieren uns
Lore
Manchmal, wenn mir etwas Beängstigendes bevorsteht, denke ich an die stärksten Leute, die ich kenne. Daraus ziehe ich dann Kraft. Suraya Hawthorne ist eine dieser Leute. Ich weiß, dass ihre schroffe Art manchmal abweisend wirken kann – und genau das ist auch ihre Absicht – aber wenn man darüber hinwegsieht, gibt es so viel zu lernen. Sie wurde als junges Mädchen zur Waise, dann nahmen Devrim und Marc sie bei sich auf. Ich glaube wirklich, dass sie so stark geworden ist, weil sie diese beiden zum Vorbild hatte. Sie lehrten ihr Selbstachtung und Durchsetzungsvermögen ... was dann auch der letztendliche Grund dafür war, dass sie die Stadt verlassen musste. Surayas Version der Geschichte ist, dass sie eines Tages nach Hause kam und Marc und Devrim am Tisch saßen, als hätten sie auf sie gewartet. Sie baten sie, sich auch zu setzen, und fragten, ob es irgendetwas gäbe, was sie ihnen erzählen wollte. Sie schüttelte den Kopf. „Nö.“ Marc sagte ihr, dass sie noch mal nachdenken sollte, doch sie blieb stumm. Also sagte er ihr, dass Vollstrecker Hideo bei ihnen gewesen war. Sie fragte, wie es ihm denn ginge. „Du weißt ganz genau, wie es ihm geht“, sagte Devrim. „Sag uns, was passiert ist.“ „Sein Gesicht war mir im Weg.“ Marc atmete tief ein und berichtete ihr, dass Hideo behauptete, sie an diesem Morgen beim Stehlen von Vorräten erwischt zu haben. Er fragte, ob sie dazu irgendetwas zu sagen hätte. Das hatte sie nicht. Er erinnerte sie daran, dass man gut und gerne aus der Stadt geworfen werden könnte, wenn man Vorräte stahl und einem Gruppenanführer die Nase brach. Da konnte Suraya nicht länger still sein. Beinahe schreiend erklärte sie, dass die Gruppen sich nicht um die hungernden Leute scherten – um die Leute, die keiner Gruppe die Treue schwören konnten, weil sie zu sehr damit beschäftigt waren, zu überleben. Sie wollte ihnen helfen, weshalb sie manchmal Vorräte von der Neuen Monarchie stahl. Devrim fragte: „Und was für ein Problem hast du mit Hideo?“ Suraya rollte die Augen und stöhnte. Sie erklärte, dass Hideo, als er sie erwischt hatte, eine ganze Menge grober und gemeiner Dinge zu ihr gesagt hatte. Er hatte gesagt, dass sie wertlos und ein Nichtsnutz sei. Devrim stimmte zu, dass Hideo ein ... nun ja, ich werde das hier jetzt nicht wiederholen, aber sinngemäß hielt er ihn auch für eine „unangenehme Person“. Jedoch hatte er eine Menge Einfluss und bestand darauf, dass Suraya bestraft werden würde. Und zwar nicht zu knapp. Für Suraya machte diese Tatsache etwas sehr deutlich. Sie erzählte mir, dass sie in diesem Moment zum ersten Mal wusste, dass sie die Stadt verlassen wollte – dass dies vielleicht auch teilweise der Grund war, warum sie Hideo ins Gesicht geboxt hatte. Das sagte sie dann auch ihren Zieheltern und die konnten es kaum glauben. Für einen Moment waren sie still. Dann brach Devrim das Schweigen: „Tja, dann lasst uns packen.“ „Nein“, sagte sie. „Auf keinen Fall.“ Sie wollte definitiv nicht, dass ihre Entscheidungen diese beiden Männer verletzten, die sie bei sich aufgenommen und sich um sie gekümmert hatten. Sie hatten nichts falsch gemacht. Oh, aber sie ließen sich nicht so leicht abwimmeln. In Surayas Version der Geschichte diskutierten sie sehr lange, bis sie dann schulterzuckend feststellte: „Wenn ihr versucht, mit mir zu kommen, dann haue ich ab.“ Sie war sich ziemlich sicher, dass sie wussten, dass sie es ernst meinte, als sie noch einmal mit müden, besorgten Stimmen versuchten, sie umzustimmen. Suraya gab nicht nach. „Ich werde nicht zulassen, dass ihr unter meinen Entscheidungen leidet.“ Was konnten sie tun? Sie fragte, wann sie gehen musste. Marc sagte, dass er ihr Hideo für ein paar Tage vom Leib halten könne, damit sie gemeinsam einen Plan schmieden konnten. Seine Stimme wurde wieder ernst, als er sagte: „Du gehst an einen Ort, der nur so weit weg ist, dass wir jederzeit nach dir sehen können, wenn wir wollen. Zumindest für eine Weile. Das steht nicht zur Debatte.“ Natürlich fehlte ihm die Kraft für jegliche Debatte, aber Suraya stimmte trotzdem zu. Über ein Jahr lang blieb sie ganz in der Nähe der Stadt, doch dann nahm sie vorerst Abschied, um weiter in die Welt hinauszuziehen. Suraya ist für mich der Inbegriff von Selbstbestimmtheit – ganz gleich, was die Konsequenzen sind. Sie wusste, dass es das Richtige war, armen Familien zu helfen, sie wusste auch, dass es das Richtige war, Devrim und Marc nicht in Gefahr zu bringen. Und sie wusste auch, dass es das Richtige war, in der Nähe zu bleiben, um ihnen ihre Sorgen zu nehmen. Diese Art von wahrem Mut habe ich immer bewundert. --- Eliksni-Vogelfutter: Mische Äther-Stange und Persönliche Note, füge Anbruch-Essenz hinzu, dann backe alles.

Erweiterter Familienkreis
Lore
Oh, Devrim. Gab es jemals jemanden, der Devrim kennengelernt hat und ihn nicht mochte? Er passt immer auf andere auf und hilft jedem, der um Hilfe bittet. Ich habe ihn oft gesehen, nachdem ich von der Farm zurückgekommen bin. Manchmal kam er vorbei, um nach uns allen zu sehen und sicherzugehen, dass alles gut läuft. Ein paar Male haben wir sogar zusammen Tee getrunken. So ein lieber, aufrichtiger Kerl. Wir brauchen mehr solcher Menschen. Häufig sprachen wir über die Schlacht und er versuchte mich immer wieder davon zu überzeugen, dass ich eine Waffe tragen sollte. „Du hast doch gesehen, was da draußen los ist“, sagte er dann – als hätte ich es jemals vergessen können. Wieder und wieder diskutierten wir darüber. Ich erklärte ihm, dass ich absichtlich Aufgaben nachging, für die es nicht Voraussetzung war, zu kämpfen. Meine Stärken lagen woanders und darauf wollte ich mich weiterhin konzentrieren. Ich erinnere mich vor allem an ein bestimmtes Gespräch, in dem Devrim sehr hartnäckig war. „Eva!“, sagte er letztendlich lauter, als er es wohl beabsichtigt hatte. Seine Augen strahlten Dringlichkeit – ja beinahe Wut – aus, als er in die meinen blickte. „Das ist keine ‚Was wäre wenn‘-Situation. Du musstest dich doch schon selbstverteidigen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass das wieder passieren wird. Die Kabale geben nicht auf und sie sind nicht die einzige Bedrohung. Dass du dich mit diesem Wissen immer noch nicht selbst schützen willst, ... ist unverantwortlich.“ Ja, ich hatte mich selbstverteidigt. Und ich hatte jeden Aspekt dieser Situation gehasst. „Devrim.“ Ich sprach mit sanfter Stimme, aber klaren Worten. „Die Kämpfe, die Schießereien, das Chaos – ich will kein Teil davon sein. Ich habe genug gesehen. Sollte ich wieder im Kreuzfeuer landen – was durchaus passieren kann – dann soll es so sein. Ich will Teil der Besserung sein. Ich will Teil des Wiederaufbaus sein. Brauchen wir das nicht?“ Der arme Devrim hörte endlich mit seinen Überzeugungsversuchen auf. Aber er hörte nie damit auf, nach mir zu sehen. Alte Gewohnheiten, wie man so schön sagt. Was glaubst du, hat jedoch auf mich gewartet, als ich endlich in den Turm zurückkehrte? Das Anbruch-Festival hatte gerade erst angefangen und in der Poststelle lag ein Paket für mich. Es war eine wunderschöne Pistole – mit vielen Verzierungen und antiken Farben – und eine Nachricht. Natürlich von Devrim. Zunächst war ich entrüstet – nach all unseren Gesprächen! Ich war kurz davor, die Waffe einfach wegzuwerfen. Doch stattdessen las ich die Nachricht. „Eva, meine Freundin! Es tat mir leid, zu hören, dass du die Farm verlassen hast, aber es freut mich, dass du jetzt unter deinen Freunden bist. In diesem Sinne und im Sinne des Anbruchs wollte ich dir dieses Geschenk machen. Sie wurde über Generationen in meiner Familie weitergegeben. Sie ist ein Kay-Erbstück – und bevor du sie wegwirfst, solltest du wissen, dass sie nicht schießt. Ich dachte, dass das doch ein netter Kompromiss ist, und ich hoffe, dass du sie annimmst. Hoffentlich geht es dir im Turm gut, alte Freundin. —Devrim“ Ich las mir die Nachricht noch ein paarmal durch, faltete sie dann und steckte sie in meine Tasche. Noch einmal blickte ich auf dieses wunderschöne Erbstück – ein Symbol der Freundschaft, der Familie – und dachte über die Tatsache nach, dass ich beides trotz aller Widrigkeiten wiedergefunden hatte. --- Gentleman-Shortbread: Mische Äther-Stange und Perfekter Geschmack, füge Anbruch-Essenz hinzu, dann backe alles.

Der Anbruch auf stürmischer See
Lore
Zu jedem Anbruch bekomme ich viele Grußkarten von Kunden. Die, die ich am meisten zu schätzen weiß, erzählen Geschichten darüber, wie Leute im ganzen Sonnensystem diese Festtage feiern. Einer meiner Lieblingsbriefe kam von jemandem, der nur einmal mein Kunde war: Lady Sloane, Steingeborene, von Titan, einem der Saturnmonde. „Liebe Eva, fröhlichen Anbruch. Zunächst einmal vielen Dank für die Lieferung. Alle Anfertigungen sind in perfektem Zustand angekommen und du hast ganze Arbeit beim Einpacken des Hähnchens geleistet (mehr dazu später). Wir haben versucht, die Reling außerhalb der Kommandozentrale mit den Girlanden zu dekorieren, aber die Gefallenen haben die Lichter nur als Zielscheiben benutzt. Ich glaube, dass wir uns nächstes Jahr mehr davon besorgen und damit lieber den Pausenraum dekorieren werden. Ein paar Anbruch-Laternen wurden vom Wind weggeweht – wir sind hier draußen auf dem Methan-Meer nicht gerade bekannt für schönes Wetter. Einige Hüter, die mir hier auf Titan helfen, haben mir erzählt, dass du gerne von Anbruch-Traditionen von außerhalb der Stadt hörst. Also will ich dir erzählen, wie wir hier auf diesem Mond, den wir unsere Heimat nennen, die Festtage feiern. Dieses Jahr habe ich die Crew früher in den Feierabend geschickt, um 16 Uhr, und mir selbst eine ganze Stunde freigenommen, damit wir eine kleine Anbruch-Abendveranstaltung in der Kommandozentrale veranstalten konnten. Von der Sirenenwacht aus hat man eine ziemlich gute Aussicht auf die Wellen und einige der schwimmenden Plattformen. Also schoben wir die Pausenraum-Tische zu einer langen Tafel zusammen und blickten auf den Horizont, während wir gemeinsam unser Festmahl aßen. Der Raum ist den Elementen ausgeliefert (das riesige Glasfenster ging vor Ewigkeiten kaputt und dessen Reparatur war nie wirklich Priorität), und so mussten sich Del und Ari warm einpacken und die Tischdecke mussten wir mit Metallklumpen beschweren. Aber ich hatte schon Schlimmeres gesehen. Eva, das war das beste Essen, das ich seit Jahren hatte. Das Hähnchen? Fantastisch. Jeder von uns konnte ein Stück probieren. Wir hatten unsere Proteinrationen in lustige Formen geschnitten und als wir deine Karamellbonbons etwas aufgewärmt hatten, sodass wir sie kauen konnten, waren wir im siebten Himmel. Wir haben sogar Anbruch-Geschenke ausgetauscht. Jemand hatte für mich eine Zitat-Stickerei zum Aufhängen angefertigt (‚Wo ist meine Barke?‘ – ist ein Insider-Witz). Hier draußen schenkt man sich ansonsten gutes Werkzeug, Schwere Munition und dicke Socken. Vielleicht ist das nicht sonderlich beeindruckend für die, die den Anbruch im Turm gewohnt sind, aber solche Geschenke bedeuten uns viel. Als wir uns nach dem Essen bei den Händen hielten (ob auf der Suche nach Wärme oder aus Geselligkeit), haben wir uns wie noch nie zuvor unterhalten. Ich glaube, ich habe noch nie freiwillig in meinem Leben persönliche Geschichten von mir erzählt! Wir sprachen darüber, wer wir vor der Roten Schlacht waren, wo wir herkamen und sogar darüber, wo wir in der Zukunft sein wollten. Auf diesem sturmumtosten Mond ist es nicht leicht – ein kräftiger Stoß und man fällt von einer Plattform in die Unendlichkeit. Zwischen den Gefallenen, der Schar und den Elementen ist es ein ständiger Kampf ums Überleben. Doch als wir so redend dasaßen, FÜHLTEN wir uns lebendig. Ich schätze, ich habe all das geschrieben, um dir zu danken, Eva, weil du uns daran erinnert hast, einen Moment innezuhalten und uns trotz aller Widrigkeiten zu freuen. Das ist inspirierend. Mit besten Grüßen Sloane“ Ich habe die Erde nie verlassen und Titan hört sich nach einem ... sehr interessanten Ort an. Aber wenn ich so lese, wie meine Mühen es geschafft haben, Leute an so weitentfernten Orten zusammenzubringen, gibt mir das das Gefühl, dass es das alles wert war. Ich hoffe, Sloane eines Tages wiederzusehen. --- Alkane-Dragée-Plätzchen: Mische Chitin-Pulver und Kugel-Spray, füge Anbruch-Essenz hinzu, dann backe alles.

Feiert einander
Lore
Ich hatte schon von den Exodus-Kolonieschiffen gehört. Ich konnte mich aber nicht wirklich an die Details erinnern – nur der Name war mir noch vom Geschichtsunterricht geläufig. Um ehrlich zu sein, hatte ich das Thema komplett vergessen gehabt, bis mir ein paar Hüter erzählten, dass sie eines der Schiffswracks auf Nessus gefunden hatten und was mit dessen Failsafes passiert ist. Scheinbar waren sie ursprünglich eine KI – der Navigationscomputer des Schiffs – aber im Laufe der Zeit wurde diese KI quasi gespalten. Für mich hörte es sich danach an, als sei jetzt eine davon immer glücklich und die andere immer traurig. Das ist doch kein Zustand für beide Seiten. Diese Dinge müssen immer im Gleichgewicht sein. Ich weiß, dass ich hier von Computern rede, aber ich mache mir Sorgen. Vor Kurzem berichtete mir ein Hüter, dass er den Failsafes vom Anbruch-Festival erzählt hatte. Er hatte gerade ein paar Beutezüge bei ihnen abgegeben und erwähnte, dass er sich auf die Feierlichkeiten auf der Erde freute. Sie unterbrachen ihn und fragten, was es damit auf sich hatte – sie hatten noch nie vom Anbruch gehört! Er sagte so etwas wie: „Es ist ein Winter-Fest, das verschiedene alte Erden-Traditionen miteinander kombiniert.“ Sie antworteten – ich versuche, es genau so wiederzugeben, wie er es gesagt hatte, weil er mächtig stolz auf seine Imitation war – sie antworteten, indem die Glückliche sagte: „Meiner Datenbank zufolge findet der ‚Winter‘ auf der Erde statt, wenn eine Hemisphäre sich von der Sonne abwendet. Wieso feiert ihr die Kälte?“ Dann sagte die Traurige: „Ich meine, mir kann nicht kalt werden, aber das hört sich schrecklich an.“ Daraufhin antwortete der Hüter, dass es mehr darum geht, einander zu feiern, was ich für eine wunderschöne Definition halte, weil ich es auch immer so gesehen hatte. Wir sind hier alle zusammen, essen Süßigkeiten und leisten einander Gesellschaft. Die Failsafes hatten noch ein paar weitere Fragen, und dann sagte die Glückliche: „Wenn wir einander feiern, wie kann ich dann beim Anbruch mitmachen? Ich bin ganz allein. Das ist sehr deprimierend!“ Und die Traurige sagte: „Ich werde die Gefallenen feiern.“ Mein Hüter-Freund dachte schnell nach und schlug vor: „Ihr könnt jedem Hüter, der auf Nessus auftaucht, einen frohen Anbruch wünschen! Feiert mit uns! Das würden wir toll finden!“ Ich freue mich, dass ihm das eingefallen ist, denn es schien beide ein bisschen fröhlicher zu stimmen. Scheinbar haben sie fast eine Stunde lang geübt, indem sie ihm immer wieder einen frohen Anbruch wünschten. Sie müssten also jetzt ziemlich gut darin sein. Gehe sie doch besuchen, wenn du die Gelegenheit dazu hast. Weit weg von der Stadt zu sein, sollte niemanden davon abhalten, einen schönen Anbruch zu haben.“ --- Immerforst-Kuchen: Mische Vex-Milch und Unfassbare Hitze, füge Anbruch-Essenz hinzu, dann backe alles.

Ein abschreckendes Beispiel
Lore
„Eva Levante!“ Ikora packte mich beim Handgelenk und beugte sich zu mir, um mir zuzuflüstern. „Ich muss mit dir über Eris Morn sprechen.“ Ah, diesen Tag werde ich nie vergessen. Damals war ich stets damit beschäftigt, die Vorhut und die anderen Turm-Händler für den Anbruch zu begeistern. Im Gegenzug wendete sich jeder an mich, der Fragen bezüglich der Feiertage hatte. Trotzdem überraschte es mich, dass die Warlock-Vorhut mich aufgesucht hatte – und dann auch noch, um über Eris Morn zu reden! Ich glaube, mir ist sogar ein Schauer über den Rücken gelaufen. „Ich habe gesehen, wie du mit ihr geredet hast, als du die Dekorationen aufgehängt hast ...“ Ich konnte mich nur daran erinnern, dass Eris mir irgendwas von Abgründen erzählt hatte, während ich versucht hatte, Laternen aufzuhängen, aber das wollte ich Ikora nicht sagen. Sie fuhr fort: „Ich mache mir Sorgen um sie. Sie wirkt ziemlich deprimiert.“ Meine Augen schnellten nach oben, und dann blickte ich zur Seite. Eins muss man mir lassen: Zumindest habe ich nicht angefangen, loszuprusten. „Sie ist noch mürrischer als sonst und die Techniker in der Halle der Hüter beschweren sich. Eva, könntest du mit ihr reden? Vielleicht ... kannst du sie dazu bringen, dir zu helfen? Du könntest sicherlich etwas Unterstützung gebrauchen.“ Eine schreckliche Idee, aber das konnte ich ja nicht wirklich sagen. Stattdessen schlug ich vor: „Vielleicht hat sie ja einen Freund – also, vielleicht nicht unbedingt einen ‚Freund‘ – aber zumindest jemanden, mit dem sie gerne spricht und Dinge gemeinsam hat ...“ Ich verstummte, als ich mich daran erinnerte, von wem wir hier redeten. Aber Ikoras Gesicht hellte sich auf. „Es gibt da jemanden, an den sie sich freiwillig wendet – einen Gensym-Schriftgelehrten namens Asher Mir. Er ist auch, nun ja ... Er ist ein exzellenter Gelehrter. Ich werde mich an ihn wenden, außer natürlich DU kennst ihn ...“ „Ich kenne ihn nicht!“, sagte ich fröhlich. „Aber ich hoffe, die Sache nimmt ein gutes Ende. Ich will ja, dass jeder einen schönen Anbruch hat. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdet – ich muss ein paar Auslieferungen machen.“ Ich war noch nicht vertraut genug mit Ikora, als dass ich ihren Arm zum Abschied hätte drücken können. Also nickte ich nur und flüchtete. Doch als ich ihr später wieder begegnete, warf sie mir einen Blick zu, der mich innehalten ließ! „Ich habe mit Asher gesprochen, wie du vorgeschlagen hattest“, murmelte sie. „Und?“ „Erst motzte er rum. Tatsächlich war ihm noch nicht mal klar, dass der Anbruch gerade stattfand. Aber ich erklärte ihm alles und als ich ihm sagte, dass es ... sehr erfreulich wäre, wenn er ihr eine Karte zum Anbruch schreiben oder sie besuchen würde, sagte er, er könne eine Karte schreiben. Er sagte außerdem, dass er auch ein Anbruch-Geschenk für sie hätte.“ „Oh! Wie nett!“ „Da bin ich mir nicht so sicher“, seufzte sie und zog ein Stück Pergament hervor. Es war zweimal gefaltet, was ihm die Form einer Grußkarte gab. Die Vorderseite war unbeschrieben, aber innen stand: „Eris, die Warlock-Vorhut hat mich gebeten, dich für die aktuellen Festtage ‚aufzuheitern‘. Also will ich diese zufällige Gelegenheit nutzen, um dir die Forschungsnotizen über die ketzerischen Praktiken der Schar zuzusenden, die du von mir verlangt hast – ganz gleich, wie störend deine Bitte auch ist. Die liebsten Grüße für dich zu diesem Anbruch! —Asher Mir“ „Hast du ihm diesen letzten Satz diktiert, Ikora?“ Für einen kurzen Moment schwieg sie. „Ja.“ Ich lachte. „Tja, dann bring die Sachen mal lieber zu ihr. Ich würde Forschungsarbeiten zur Schar nicht unbedingt als traditionelles Anbruch-Geschenk klassifizieren, aber immerhin hatte sie darum gebeten.“ Ikora schüttelte müde den Kopf und unsere Wege trennten sich. Später am selben Tag, als ich mich gerade zu meiner letzten Lieferrunde aufmachen wollte, kam Ikora erneut auf mich zu. Sie sagte mir: „Ich bin zu Eris gegangen. Ich weiß nicht, ob sie jetzt fröhlicher ist, aber immerhin hat sie gesagt: ‚Ah, ja, auf diese Aufzeichnungen habe ich schon eine ganze Weile gewartet. Gut.‘ Sie hat sogar eine Anbruch-Nachricht an Asher zurückgeschrieben.“ Ikora reichte mir das gleiche Stück Pergament, das ihr Gelehrten-Kollege benutzt hatte, jedoch war es neu gefaltet worden. Auf ihm stand: „Asher: Bewahre dich selbst davor, dem Geflüster zu verfallen, wie es die Narren tun. Die liebsten Grüße für dich zu diesem Anbruch! —Eris Morn“ Ich zuckte mit den Schultern. Ikora räusperte sich. „Eris hatte sogar ein Anbruch-Geschenk, das ich an Asher weitergeben soll.“ „Na, zumindest gibt sie sich Mühe.“ „Nun ja ...“ Ikora zog mich zur Seite und zog ein kleines, unebenes Paket hervor, das in ein Stück Stoff gewickelt war. Sie entpackte es vorsichtig. Und dann sah ich es. Das Anbruch-Geschenk glühte in einem giftigen Grün. „Das kann ich ihm nicht geben!“, zischte Ikora. „Ich kann es ...“ Sie blickte sich um, um sicherzugehen, dass uns niemand belauschte. „ .... einfach wegwerfen, oder?“ „Hier sollte die Anbruch-Etiquette ausnahmsweise mal keine Rolle spielen“, flüsterte ich zurück. Sie nickte mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck. „Lass uns diese Sache nie wieder erwähnen.“ --- Radiolaria-Pudding: Mische Vex-Milch und Elektrischer Geschmack, füge Anbruch-Essenz hinzu, dann backe alles.

Sag es mit einem Anbruch-Geschenk
Lore
Nicht nur meine Kunden halten mich auf Trab. Andauernd fragen mich Leute um Rat. Manchmal sind es Fragen wie „Ist dieser Shader besser oder der andere?“ und „Sieht dieses Zeichen gut an mir aus?“. Andere fragen mich „Soll ich eine Anbruch-Party schmeißen?“ oder „Soll ich wirklich auf die Anbruch-Party dieser Person gehen?“. Ab und zu sind die Fragen jedoch komplizierterer Natur. Eines Nachmittags gönnte ich mir gerade eine kleine Verschnaufpause, in der ich die durcheinandergeratenen Geschenkpapierrollen ordnen wollte, als ich hörte, wie eine sonore Stimme mich rief. Ich bin geradezu aufgeschreckt! Es war ... ein gewisser, wohl bekannter Titan – nicht Zavala, aber wer es war, verrate ich nicht. Eva Levante tratscht nicht über sensible Themen. Er trug eine beeindruckende Waffe bei sich, die aus gekrümmten Metallteilen und gespannten, festen Schnüren bestand. „Das ist ein Compoundbogen“, erklärte er, als er meinen Blick sah. „Damit schießt man Pfeile ab.“ Ich hob meine Augenbrauen in Verwunderung. An diese Waffe hatte er eine große, rote Samtschleife angebracht. An seinem schiefgelegten Helm und seinem angespannten Griff um die Waffe konnte ich jedoch sehen, dass etwas nicht stimmte. Ich seufzte. Bei jedem Anbruch kam das ein paar Mal vor. Ich vermutete, dass er ein Auge auf jemanden geworfen hatte. Das würde kein kurzer Plausch werden. „Die wärmsten Anbruch-Grüße für dich, Torito!“ (Das ist natürlich nicht sein richtiger Name; ich habe ihn erfunden.) „Eva Levante. Es heißt, man soll ein Anbruch-Geschenk verschenken, wenn man ... jemand ganz Besonderes kennt“, dröhnte er bei dem Versuch zu flüstern. „Wer sagt denn sowas?“, lachte ich. Er ignorierte mich. „Ich habe diesen Bogen für eine ganz besondere Person gekauft. Ist das ein gutes Geschenk?“ „Das kommt ganz auf die Person an. Was mag sie denn? Wie IST sie denn? Kannst du sie beschreiben?“ „Sie ... kämpft gerne. Sie ist königlich. Sie ist sehr ...“ Der Titan machte eine Pause. „Ist ein Recurvebogen vielleicht romantischer als ein Compoundbogen?“ (Dieses Mal schaffte er es, zu flüstern.) „Aaah“, ich nickte wissend. Ich hatte keine Ahnung von den Unterschieden zwischen den beiden Waffen, aber ich verstand sein Problem. „Aber vielleicht wäre ein Buch besser?“, fragte er. „Das kommt dann auch wieder auf das Buch an, das du auswählst.“ „Ich habe Ikoras ‚Über die Kreise: Überarbeitete Version‘ gelesen und es war gut.“ „Das ist ein schreckliches Anbruch-Geschenk. Wie wäre es mit Literatur?“ Torito tippte an das Horn an seinem Helm, um nachzudenken. „Ich habe mal eines ihrer Bücher kaputtgemacht. Sollte ich es ersetzen?“ „Vielleicht solltest du sie nicht an eine schlechte Sache erinnern ...“ Darauf antwortete er nicht, weshalb ich weitersprach: „Vielleicht ist dieser Bogen ja schon das richtige Anbruch-Geschenk für deine Freundin. Glaubst du, sie würde ihn benutzen?“ „Ganz bestimmt.“ „Na dann.“ Ich lächelte. „Da hast du deine Antwort. Einen fröhlichen Anbruch für dich und deine Freundin!“ „Dir auch, Eva. Ich hoffe, dass du einen unvergesslichen Anbruch haben wirst.“ Dann dankte mir der Titan, schulterte den Bogen und stapfte davon. --- Vanille-Schwerter: Mische Kabal-Öl und Scharfer Geschmack, füge Anbruch-Essenz hinzu, dann backe alles.

Zufälle gibt es nicht
Lore
Es kommt irgendwie immer ein Kunde mit vielen Fragen zu mir, wenn ich gegen Nachmittag am meisten zu tun habe. Heute war es eine Frau. Eine wunderschöne, drahtige Hüterin mit dunklem, kurzen Haar und einem diagonalen, weißen Streifen über jedem Auge – atemberaubend! Sie hatte eine Umhängetasche über ihre Schulter geworfen und hielt auf einem Arm einen Stapel Bücher und Pakete. Dieser Anblick verriet mir, dass sie nicht nur hergekommen war, um sich umzuschauen. Außerdem hatte sie ein keckes Grinsen im Gesicht, eine Hand in die Hüfte gestemmt und sie trommelte ungeduldig mit den Fingern, während sie wartete. Das ließ mich vermuten, dass sie eine Jägerin war. „Einen fröhlichen Anbruch, Miss ...?“, begrüßte ich sie. Ohne Umschweife fragte sie: „Kannst du mir dabei helfen, Sachen für eine sehr kleine, intime Anbruch-Feier zusammenzustellen?“ Hast du eine Art Set oder so?“. Dann blickte sie ungeduldig über ihre Schulter. „Es ist eine Überraschung für ... jemanden, der den Anbruch in der Stadt gewohnt ist, aber jetzt sind wir auf dem Mars, also ...“ „Ah! Traditionell gehören zum Anbruch Dekorationen, Essen und Geschenke. Zunächst gibt es da diverse Laternen“ – ich deutete auf die bunten Kugeln, die überall im Laden hingen – „und Kerzen“ – ich zog eine Schachtel Teelichter von unter dem Tresen hervor und stellte sie vor ihr ab – „und Luftschlangen.“ „Kerzen und Luftschlangen stellen ein Feuerrisiko dar. Ich nehme Kerzen und Laternen.“ „Silberne und gelbe Laternen passen gut zusammen ...“ Sie kniff die Augen zusammen und sah sich meine Auslage an. „Lilafarben.“ „Ich gebe dir Lilafarben, Grün und Silber. Das ist eine hübsche Kombination. Beim Anbruch geht es um Wunder und Schönheit, also kauft man nicht nur eine Laterne.“ Ich stapelte die zusammengefalteten Laternen auf die Kerzen. Sie öffnete ihren Mund und schloss ihn wieder. Ich zog meine größte Schachtel mit Anbruch-Leckereien hervor und legte auch sie auf den Tresen. „Mit anderen zu teilen und großzügig zu sein, sind das Herz des Anbruchs. Diese Auswahl ist die beste,“ – hier machte ich keine kurze Pause – „wenn du jemanden beeindrucken willst, den du liebst.“ Sie schürzte die Lippen und schob die mit Bändern umschlungene Schachtel zu den Kerzen und Laternen. Lächelnd zog ich einen Kleiderständer mit meinen hochwertigeren Gewändern heran. „Zu guter Letzt: das Anbruch-Geschenk. Das ist am wichtigsten ...“ „Oh, ich habe schon ein gutes Anbruch-Geschenk.“ Sie legte ihre Habseligkeiten auf den Tresen, um mir die Halsketten-Schatulle zu zeigen, die oben auflag. Dabei warf ich einen kurzen Blick auf die Buchrücken der dicken Wälzer. Einige davon hatten sehr lange Titel und auf allen stand „Fu'an Bibliothek – REFERENZ – NICHT AUS DEM GEBÄUDE ENTFERNEN.“ Die Jägerin bemerkte mein Stirnrunzeln und stopfte die Bücher in ihre Umhängetasche. „Das habe ich ausgesucht. Glaubst du, es wird ihr gefallen?“ Ich wusste nicht, wer die Person war, von der sie redete, aber ich bewunderte die Halskette, die sie mir zeigte: An der Kette selbst hing ein länglicher Anhänger, auf den ein kleiner Vogel eingraviert war. Alles war exzellent verarbeitet. Sie grinste und sagte: „Das Design ist aus dem Goldenen Zeitalter, aber auf dem Anhänger sind außerdem fünfunddreißig Petabytes an Daten gespeichert!“ Ich erwiderte ihr Lächeln. Außerdem überzeugte ich sie, eine robuste Büchertasche und lilafarbenes Geschenkpapier zu kaufen. „Bitte sehr! Dein eigener, persönlicher Anbruch – praktisch in eine Tüte gepackt!“, sagte ich, während ich den Glimmer wegsteckte und ihr ihre Einkäufe überreichte. „Ich hoffe, deine Partnerin freut sich über die Überraschung.“ Die Jägerin nickte zum Dank mit dem Kopf und drehte sich um, um zu gehen. „Anastasia!“ Und wen sehe ich da? Commander Zavala stand im Korridor, die Hände in die Hüften gestemmt, während die Menge der Nachmittagseinkäufer um ihn herum strömte. „Zavala“ murmelte die Jägerin. Sie nahm die Schultern zurück und hob das Kinn; sie sah anmutig und gefährlich aus wie ein Falke. „Fröhlichen Anbruch, Ana. Ich bin überrascht, dich im Turm zu sehen.“ „Ja, nun, ich hatte Erledigungen ...“ Aber ich hörte nicht mehr, was sie sonst noch sagte, denn jemand kam mit einem Paket auf mich zugerannt und fragte: „Hey, habe ich gehört, dass diese Frau zurück zum Mars fliegt? Das Paket hier muss auch dorthin.“ Ich überflog den Lieferschein: Kerzen, Laternen, diverse Süßigkeiten, Geschenkpapier, Umhang ... bestellt von Camrin Dumuzi. Mein Bauchgefühl meldete sich. Das konnte kein Zufall sein ... „Ich glaube, das hier soll eine Überraschung sein. Das Paket kann auf die morgige Lieferung warten“, antwortete ich. Als ich zurückblickte, waren Zavala und die Jägerin in ein tiefes Gespräch verwickelt. Auf dem Gesicht der Titanen-Vorhut war ein halbes Lächeln zu sehen und die Frau grinste. Ich war mir sicher, dass die Anbruch-Stimmung hier zwei gute, alte Freunde wiedervereint hatte. Und mit diesem Gedanken wandte ich mich meinem nächsten Kunden zu. --- Javelin-Mondkuchen: Mische Chitin-Pulver und Scharfer Geschmack, füge Anbruch-Essenz hinzu, dann backe alles.

Ein freundliches Gesicht
Lore
Hast du jemals jemanden getroffen, der dir sofort auf den Keks ging? Sie können sehr freundlich erscheinen, aber es ist immer eine bestimmte Art Freundlichkeit. Die verschiedenen Arten können schwer zu erkennen sein, wenn man jung ist, aber mit der Zeit sieht man sie alle. Die seltenste Form ist ehrliche Güte, aber es gibt auch „Schönwetter“-Freundlichkeit, „Ich will etwas“-Freundlichkeit und „Guck, wie nett ich bin“-Freundlichkeit. Letzteres hat immer etwas zu verbergen und sie hoffen, dass ihre Show das versteckt. Zu der letzten Gruppe gehört auch der Mann, der sich als Vagabund bezeichnet. Ich spreche nicht gerne schlecht über andere, aber bei ihm mache ich eine Ausnahme. Ihm traue ich nicht über den Weg. Ich hab keine Ahnung, was er da draußen vorm Tor so anstellt und will das, glaube ich, auch gar nicht wissen. Ich hab nur ein paar Mal mit ihm gesprochen. Er kommt einem immer so vor, als ob er es eilig hätte. Die eine Unterhaltung, die wir hatten, außer unserer Vorstellung, war sehr kurz, und er machte sich aus dem Staub, bevor er mir antwortete. Das war kurz vor dem Anbruch-Festival. Ich dekorierte meinen Stand, als er vorbei spazierte und fragte: „Nanu, was ist das denn alles?“ „Du hast doch sicher vom Anbruch gehört?“, fragte ich, nicht unfreundlich, sondern freundlich – „ich weiß, du bist eine Schlange“-freundlich. „Oh, natürlich“, antwortete er. „Hab wohl vergessen, dass es wieder soweit ist. Die Zeit fliegt einfach so dahin, ‘ne Schwester? Einfach so.“ Lange Zeit starrte er einfach zur Deko hoch, die Hände in die Hüften gestemmt und beifällig nickend. „Das kann ganz sicher passieren“, entgegnete ich. „Ich wollte dich sowieso fragen—“ „Weißt du“, sprach er, „ich glaube, ich war noch nie, wo man den Anbruch tatsächlich gefeiert hat. Kannst du mir ‘n bisschen darüber erzählen?“ Freunde der Nacht, ich bin vielleicht keine Jahrhunderte alt, aber ein naives Kind bin ich auch nicht. Die alte Eva erkennt eine Lüge, wenn sie sie hört. Ich habe ihm trotzdem von unserem Festival erzählt, unsere Traditionen erklärt und die Bedeutungen dahinter erklärt. Er nickte und schien sehr aufmerksam. Dann versuchte ich, die Konversation zu ihm zurückzuführen. „So, Vagabund, wo bist du—“ „Nun, ich mach mich wohl besser auf!“, rief er und gab vor, mich nicht gehört zu haben. „Ich hab schon genug deine Zeit verschwendet—wer weiß, wie viel davon uns allen bleibt.“ Als er so davonschlenderte, blickte er zurück und rief „Ich mag die Deko, schöne Farben!“ und dann war er auch schon um eine Ecke verschwunden. Ich habe so viele Leute über diesen seltsamen Kerl reden hören. Sie sagen fast alle das Gleiche: sehr freundlich, aber auch ein wenig mysteriös. Ich habe aber auch Dinge vernommen, die ich lieber nicht wiederhole; sie sind viel zu grausam, um wahr zu sein und ich möchte keine Gerüchte in die Welt setzen. Ich bin mir sicher, seine Essgewohnheiten unterscheiden sich nicht sonderlich von den meinen oder den deinen. Aber etwas stimmt garantiert nicht mit ihm. Mein Rat ist, ihn im Auge zu behalten. --- Zartbitter-Partikel: Mische Besessenen-Butter und Null-Geschmack, füge Anbruch-Essenz hinzu, dann backe alles.

Eine Geschichte zweifach erzählt
Lore
Was ich meisten daran vermisst habe, seit ich in den Turm zurückgekehrt bin, ist, alle wieder zu treffen. Während ich fort war, habe ich meine Freunde vermisst und jeden Tag an sie gedacht. Selbst wenn man das Richtige tut, kann es hart sein, sich nicht die alten Zeiten zurückzuwünschen. Ich wollte mich so gerne über alles mit ihnen austauschen, aber diese Hüter haben immer was zu tun und flitzen von A nach B. Meistens kann man ihnen kaum ein Wörtchen entlocken. So viel ist passiert und ich bekomme nur spärliche Informationen. „Spider“ ist ein Name, den ich dauernd höre, aber wer ist er überhaupt? Ein gewöhnlicher Verbrecher? Ein Gott? Ein Freund? Manchmal hört es sich so an, als ob er alles drei wäre. Was an diesem Spider-Kerl fesselt die Hüter so? Und hab ich das richtig mitbekommen, dass er sich von Geistern ernährt? Geistern! Wie überaus schrecklich. Selbst der nervigste Geist verdient so ein Schicksal nicht (ja, ich denke da an einen ganz bestimmten, aber ich befürchte, die alte Eva wird dieses Geheimnis für sich behalten). Von dem was ich mir so zusammenklamüsern kann, hört es sich so an, als ob dieser Spider eine Gruppe Barone um sich geschart hatte. Falls das stimmt, dann erscheint mir seine Beziehung mit ihnen … dürftig. Ich weiß zwar nicht, wie die Dinge in dieser Wirrbucht so laufen, aber ich glaube, er hat sie alle ermorden lassen. Aber davor sind seine Barone in so ein Hochsicherheitsgefängnis im Weltraum eingebrochen. Haben wohl nach etwas gesucht, das Spider gehört. Ich weiß natürlich nicht, was. Vielleicht Geister oder Waffen – obwohl, warum er jemanden danach in einem Gefängnis suchen schickt, verstehe ich nicht. Während seine Barone in diesem Gefängnis waren, fingen die Insassen einen Streit mit ihnen an. Dieser Frechdachs Cayde-6 war auch in dem Gefängnis auf einer Mission, aber ich bin mir sicher, die hatte nichts mit Spiders Mission zu tun. Aber es hört sich so an, als ob sie alle im gleichen Scharmützeln gelandet sind. Und während alle kämpften, kam auch noch der Bruder der Riff-Königin an! Als ich zum ersten Mal davon hörte, dachte ich: „Oh, gut! Endlich jemand auf unserer Seite. Der Erwachten-Prinz wird uns aushelfen!“ Ich dachte ja immer, dass er etwas … steif ist, aber eben auch hilft, wenn es darauf ankommt. Jedenfalls bevor sich das mit seiner Schwester zugetragen hat. Verlust und Trauer können schreckliche und hässliche Dinge mit uns anstellen. Was mich zu dem einzigen Detail führt, über das ich mir sicher bin: Uldren Sov hat Cayde-6 getötet. Ich weiß nicht, warum, aber ich vermute, es war teils, weil der Prinz dem Schmerz in seinem Herzen nachgegeben und die Fähigkeit verloren hat, Dinge so zu sehen, wie sie sind. Naja, als Spiders Barone das Gefängnis verließen, rannten sie alle rüber zum Riff. Ich nehme an, sie fanden, wonach Spider gesucht hatte, aber wollten es für sich behalten. Dieser Spider schickte Leute auf die Spur der Barone und es sieht nicht so aus, als ob einer von ihnen überlebte. Und während sich das alles abspielte, wurde Uldren ermordet. Ich nehme an, es war Rache für Cayde, aber niemand will mir verraten, wer es war. Nachdem, was ich alles über diesen Spider gehört hab, würde es mich nicht wundern, wenn Uldren auch auf seine Kappe geht. Doch viele meiner Hüterfreunde erledigen Gefallen für diese … diese Kreatur, die an guten Tagen sein Gefolge betrügt und hintergeht. Ich bezweifle, dass dieser Weg zu etwas Gutem führt. Natürlich kann es sein, dass ich nicht ganz im Bilde bin. Dies ist keine Geschichtslektion, zieh daraus, was du willst. Manche Leute haben anscheinen nur keine Zeit, sich mit der alten Eva zu unterhalten. --- Tote Zucker-Geister: Mische Dunkel-Äther-Stange und Geistesblitz, füge Anbruch-Essenz hinzu, dann backe alles.

Was uns Eins macht
Lore
Was sind die Erwachten? Nicht im Sinne von „Wie sind sie entstanden?“ Das ist mir so egal, wie mir egal ist, wie die Kabale oder Gefallenen entstanden sind. Wie ich das sehe, wollte das Universum sie und deshalb sind sie entstanden. Und wer bin ich schon, das Universum in Frage zu stellen? In letzter Zeit höre ich viele Leute über Petra Venj und die Wirrbucht reden. Die hört sich sehr verwirrend an—Felsen, die aneinander gekettet sind? Und man springt einfach zwischen ihnen hin und her? Kein Wunder, dass die riffgeborenen Erwachten alles und jedem misstrauen, wenn sie sich nicht einmal auf den Boden verlassen können! Aber das Erwachtenvolk im Großen und Ganzen … Ich hab schon das Gefühl, dass man Verständnis von ihnen generell gewachsen ist, aber es gibt immer noch Dinge, die ich einfach nicht verstehe. Sie sind definitiv Teil von dem, was wir als „Menschheit“ verstehen, so wie die Menschen und die Exos. Das weiß ich und das glaube ich, aber warum ist das so? Weil sie … gemacht … sind wie wir? Die Kabale sind ungefähr so beschaffen wie wir, aber deswegen zählen wir sie noch lange nicht zur Menschheit. Ist es, weil wir alle eine Beziehung mit dem Reisenden haben? Es fällt einem schwer zu glauben, aber die Gefallenen hatten einmal eine Beziehung zum Reisenden und die gehören ganz sicher nicht zur Menschheit. Gehört zur „Menschheit“ nur, wer sich auch unter Menschen aufhält? Aber mit der Logik gehören die riffgeborenen Erwachten nicht zur Menschheit, da sie sich nur im Riff aufhalten. Ich glaube nicht, dass das stimmt und doch … Petra hat die meiste Zeit ihres Lebens im Riff verbracht, oder? Ich weiß, eine Zeit lang agierte sie als Gesandte, aber das Riff war immer ihr wahres Zuhause. Würde sie sich selbst als Teil der Menschheit sehen? Ich denke, wenn du Petra geradewegs fragen würdest: „Siehst du dich als Teil der Menschheit?“, würde sie antworten: „Ich bin eine Erwachte des Riffs.“ Wenn du weiter drängen würdest: „Ja, aber auf welcher Seite stehst du?“, dann glaube ich, ihre Antwort würde so ausfallen: „Auf Königin Mara Sovs Seite.“ Ist die Menschheit also etwas, für das wir uns entscheiden? Oder das dir zugeteilt wird? Ist es ein Titel, den man sich verdienen muss, ein Geburtsrecht oder ein Erbe? Sind die Erwachten Teil der Menschheit wegen einer dieser Bestimmungen oder— Könnte es sein, dass die Erwachten Teil der Menschheit sind wegen ALL dieser Bestimmungen? Die einzelnen Ideen definieren die Menschheit genauso wenig wie ein Umhang einen Jäger, aber ZUSAMMEN – dass sie beschaffen sind wie wir, dass sie wie wir eine Beziehung zum Reisenden haben, und das viele von ihnen wie wir gerne auf der Erde leben … Vielleicht macht sie DAS zum Teil der Menschheit; alles verbunden, so wie wir verbunden sind. Dieses Beisammensein ist, was uns geholfen hat, die Rote Schlacht zu gewinnen, und ich glaube wahrlich daran, dass es uns deswegen gelingen wird die Dunkelheit für immer zurückzudrängen. Vergiss niemals, dass unsere Eintracht uns stark macht, und die Erwachten werden immer Teil davon sein. --- Unglückskekse: Mische Dunkel-Äther-Stange und Unfassbare Hitze, füge Anbruch-Essenz hinzu, dann backe alles.

Man gewöhnt sich an ihn
Lore
Da ist ein seltsamer Geselle, der … nun, vielleicht hast du ihn gesehen. Er kommt und geht nicht wie du und ich es für herkömmlich halten. Ehere so, dass man sich umdreht und entweder ist er da oder nicht. Sein Auftreten ist aber wenigstens stet und vorhersehbar. Sein Name ist Xûr. Ich bin mir nicht sicher, warum man diesen kleinen Pfeil über seinem Namen malt, aber man soll ja respektieren, auch wenn man es nicht versteht. Das erste Mal, als ich Xûr gesehen habe, war ich alleine bei mir im Stand im Turm. Im ‚alten‘ Turm, wie man jetzt wohl sagt. Damals war ich noch nicht so lange dort gewesen. Ich sah auf und da stand dieser Mann, wie aus dem Nichts erschienen! Er stand mit dem Rücken gekehrt zu mir, aber selbst von hinten schien etwas nicht mit ihm zu stimmen. Etwas an seiner Körperhaltung. Als er sich umdrehte, bemerkte ich, dass wohl sein ganzes Gesicht von Haaren bedeckt war. Es schien sich zu bewegen, hin und her zu wabern, aber es wehte kein Wind. Als Licht auf sein Gesicht fiel, schrie ich auf und versteckte mich blitzschnell hinter einem meiner Schränke. In dem Moment war ich mir so sicher, dass dieses Monster hier war, um uns zu überfallen, dass noch mehr von ihnen außer Sichtweite waren und es schlecht um uns stünde. Irgendwann realisierte ich, dass niemand sonst schrie. Keine Panik war zu hören. Ich lugte aus meinem Versteck hervor; alle gingen ganz normal ihren Geschäften nach. Niemand außer mir war panisch! Und viele Leute sahen ihn—ja, unterhielten sich sogar mit ihm. Endlich stand ich langsam auf und wandte mich wieder meinen Aufgaben zu—ließ ihn jedoch nicht aus den Augen. Tess schlenderte irgendwann herüber und ich fragte sie nach dem seltsamen Wesen. „Oh, das ist Xûr!“, sagte sie ganz unbekümmert. „Er kommt dann und wann vorbei und verkauft eigenartige Sachen, die man nur schwer bekommt.“ Sie betrachtete ihn einen Moment lang und sagte dann: „Könnte meiner Meinung nach seine Garderobe ‘n bisschen aufpeppen, aber sonst isser harmlos.“ „Was ist er eigentlich?“, fragte ich verwundert. „So eine Kreatur hab ich noch nie gesehen.“ „Xûr ist … ich glaube, er wird Jupiteraner genannt. Sie kommen von noch weiter als dem Riff her. Aber das ist auch quasi schon alles, was ich weiß.“ „Und die sind … lieb?“ „Also, angreifen tun sie uns nicht, falls du das meinst. Ich würde Xûr jetzt nicht unbedingt lieb nennen, aber feindlich ist er nicht.“ Nach dieser Konversation war ich schon etwas beruhigt, doch etwas Angst blieb. Für viele Monate erschrak ich mich jedes Mal, wenn er erschien und musste den Drang unterdrücken, mich zu verstecken. Irgendwann gewöhnte ich mich an seine Anwesenheit. Seine Vorhersehbarkeit lernte ich zu schätzen, sie wurde zu einem Symbol, dass alles so funktionierte wie es sollte. Auch die Angst verschwand mit der Zeit. Ich habe schon häufiger bemerkt, dass meine erste Reaktion auf Dinge Angst ist. Vielleicht reagiert ja jeder so. Ich habe jedoch realisiert, dass, wenn ich meine Angst anerkenne und akzeptiere, es leichter ist, weiterzumachen, bis ich keine Angst mehr habe. Das Unbekannte war fast nie so schlimm wie ich anfangs befürchtete. --- Komische Kekse: Mische Besessenen-Butter mit Elektrischem Geschmack, füge Anbruch-Essenz hinzu, dann backe alles.

Gerüchte
Lore
Ich weiß nicht viel über die Prophezeiungen des umstrittenen Warlocks Osiris. Aber ich weiß, dass seine Theorien den Turm gespalten haben, Zivilisten und Hüter gleichermaßen, und ich habe gesehen, dass die Spaltung an seltsamen Orten stattfand, auch noch Jahre nachdem Osiris weggegangen war, um seine radikalen Forschungen zu betreiben. Lass mich dir einen Witz erzählen: Ein Anhänger von Osiris und ein Skeptiker setzen sich an einen Tisch, um ihre Differenzen beizulegen. Sie sterben dort. Frag mich nicht, wo ich den gehört habe. Aber sei auch nicht überrascht—wenn du glaubst, dass die Bewohner der Stadt sich nicht ab und zu über euch Hüter lustig machen, passt du nicht richtig auf. Na jedenfalls ... Ich habe Gerüchte über Bruder Vance gehört, einen von Osiris' Anhängern. Die Gerüchte begannen wie Mythen: Wie er das von Osiris entdeckte Wissen nutzen könnte, um Wunder zu vollbringen oder den Hütern zu ihrem vollen Potenzial zu verhelfen. Dann, aus einem mir unbekannten Grund, veränderten sich die Gerüchte: Vance war auf einmal ein Fanatiker, der Osiris nicht kannte und endlos im Sand des Merkurs auf etwas wartete, das nie kommen würde. Die Hüter sind so voller Tatendrang. Ich glaube, sie könnten sich nicht in eine solche Passivität einfühlen. Was mich betrifft, so denke ich, dass wir an Dinge und Menschen glauben sollten, die wir selbst sehen können. Was jemand jetzt tut, ist ein besserer Beweis für seinen Geist als das, was er angeblich getan haben soll. Es scheint mir, dass das ewige Warten auf die Rückkehr eines Helden, das Nachdenken über die gleichen Bücher und Briefe, die Hoffnung auf eine Zukunft, die man nicht kontrollieren kann ... nun ja. Ich betrachte es als Zeitverschwendung. Ich neige selbst zum Handeln. Fleißige Hände, fleißiger Verstand. Aber ich denke auch, dass es einsam und entmutigend sein muss, von seinem Idol verlassen zu werden, auch wenn dieses Verlassen nur im eigenen Kopf existiert. Ich vermute, ein Mann wie Vance hält eine einsame Wacht. Ich vermute, er weiß, was die Leute über ihn sagen, und er versucht, sich darüber zu erheben—womit er weiter in die Isolation abtreibt. Andererseits habe ich ihn nie getroffen. Ich weiß nicht, welche Gerüchte wahr sind und welche albernes Geschwätz. Ich weiß nur, dass der Anbruch jeden willkommen heißt—besonders diejenigen, die sich am stärksten isoliert fühlen.

Der Kampf um das Gute
Lore
Als die Hüter den Weg in die Träumende Stadt fanden, kamen viele von ihnen, um mir davon zu erzählen. Ihre Geschichten über einen schönen Ort voller gewaltiger Klippen und alter, heiliger Gebäude klangen für mich wie Märchen. Wie bei vielen der Geschichten, die ich von den Hütern höre, staunte ich, dass so etwas real sein kann. Ich erinnere mich insbesondere an einen Warlock der Erwachten namens Nadya, die mich so besuchte, wie es viele Hüter tun: still, verlegen und in der Hoffnung auf einen Tee. Ich lade sie natürlich immer auf eine Tasse ein. An diesem Tag saß Nadya an meinem Tisch und hatte ihre Tasse noch nicht angefasst. Wenn ich nicht schon so viel Zeit damit verbracht hätte, Leute in meiner Küche aufzuheitern, hätte ich sie vielleicht gedrängt, aber ich wusste es besser. Ich wartete. Irgendwann sah sie zu mir auf. „Ich fühle mich, als hätte ich ein Stück von mir selbst gefunden und es im gleichen Moment wieder verloren“, sagte Nadya, sanft und traurig. „Ich weiß, dass Hüter nicht dazu bestimmt sind, über den Reisenden hinaus auf ihr Erbe zu schauen, aber die Träumende Stadt hat sich angefühlt wie ein ...“. Sie verfiel wieder ins Grübeln. „Ein Zuhause?“, sagte ich. Nadya senkte ihre Augen. „Ja. Wie ein Zuhause.“ Nach einem kurzen Schweigen sah sie mich wieder an. „Ist das falsch?“ „Nein“, sagte ich. „Natürlich nicht. Zuhause ist nicht immer ein einziger Ort, weißt du. Ich hatte schon viele Zuhause.“ Nadya nickte und schob ihre Teetasse auf dem Tisch herum. Diesmal musste ich eine Weile warten, bevor sie wieder sprach. Schließlich sagte sie: „Ich fühle mich, als würde ich den Verlust von etwas betrauern, was ich nie wirklich hatte.“ Ich verstehe den Fluch, der die Heimat der Erwachten heimsucht, nicht vollständig. Ich weiß, dass er durch große Missverständnisse und Gefahren entstanden ist. Ich weiß, dass Uldren Sov und eine andere Kreatur, von der ich noch nie gehört habe, im Zentrum dieser Gefahren standen. Aber soweit ich weiß, gab es in dieser Geschichte keine klaren Feinde. Niemanden, dem man die alleinige Schuld hätte geben können. Das kann es so viel schwieriger machen, es zu akzeptieren. Nadyas Herzschmerz war spürbar. Ich fühlte ihn in meiner eigenen Brust. Aber, obwohl ich ihr Leiden sah, sah ich Nadya aufstehen und zu ihrer Arbeit zurückkehren. Sie kehrte Woche für Woche in die Träumende Stadt zurück. Ich glaube, wir definieren uns nicht durch unsere Erfolge, sondern durch unsere Fähigkeit, weiter zu kämpfen, wenn der Kampf nicht zu gewinnen scheint. Nicht nur Hüter. Wir alle. Danke, dass ihr alle ein Beispiel für diesen Kampfgeist seid.

Ein wirklich netter junger Mann
Lore
Einer meiner Lieblingsplätze im Turm ist eine abgelegene kleine Bank mit Blick auf die Stadt. Ich beobachte die eintreffenden Schiffe, die Vögel und die Wolken—ich bin immer so beschäftigt, dass es gut ist, mal für eine Weile rauszugehen und mich daran zu erinnern, was draußen vor sich geht. Neulich saß ich auf dieser Bank, als ein sehr großer Titan neben mir auftauchte, seine Hände vor sich gefaltet. „Entschuldigung“, sagte er. „Wäre es in Ordnung, wenn ich mich hier hinsetze?“ Ich lächelte und rutschte zur Seite, um Platz zu machen. „Bitte“, sagte ich. Er setzte sich. Seine Schultern waren so breit, dass ich noch ein wenig mehr rutschen musste. Er hatte eine Tasche mit Vogelfutter bei sich, und ich sah zu, wie er ein wenig davon auf dem Boden verteilte. Die Tauben kamen schnell—tatsächlich hatte ich in dem Moment, als er sich hinsetzte, ein paar mehr als sonst bemerkt. Ich fragte mich, wie oft er hierher kam und wie wir uns bisher verpasst hatten. Er war kein leicht zu übersehender Mann. Das Gurren der Tauben und das ferne Treiben der Stadt waren beruhigend, und da der Mann keine Probleme mit geselliger Stille zu haben schien, schloss ich meine Augen. Nach einem Moment wurde ich jedoch auf Schritte und Flüstergeräusche hinter uns aufmerksam. Eine junge Frau, ebenfalls ein Titan, löste sich aus einer kleinen Gruppe von Leuten, kam auf die Bank zu, lächelte nervös und sprach den Mann verlegen an: „Es ist eine große Ehre, dich zu treffen. Du bist eine Inspiration für Titanen allerorts.“ Er nickte bescheiden. „Danke“, sagte er. Und sie unterhielten sich kurz. Er fragte nach ihrem Namen. Sie sprachen darüber, dass sie gerade von ihrem Patrouilleneinsatz auf Io zurückgekommen war. Er lobte ihr Engagement für die Sicherheit der Menschen im System, und dann gingen sie und ihre Freunde wieder. Mein Sitznachbar machte sich wieder daran, die Tauben zu füttern. Nach einem Moment fragte ich ihn beinahe scherzhaft „Bist du berühmt?“ Er blickte mich an und neigte seinen Kopf zögernd nach vorne. „Ein bisschen.“ „Ich verstehe“, sagte ich lächelnd. Nach einem Moment fügte ich hinzu: „Mein Name ist Eva.“ „Heiliger.“ Ich saß nach dieser Antwort einen Moment lang da und fragte dann „Der 14. Heilige?“ Ich hatte die Geschichte gehört, wie er vor langer Zeit im Kampf der Sechs Fronten für die Stadt gekämpft hatte, und eine noch fantastischere Geschichte darüber, wie er einen mächtigen Gefallenen mit einem Kopfstoß besiegen konnte. Jedes Mal, wenn ich diese Geschichte gehört habe, habe ich immer gehofft, dass er einen guten Helm trug. „Das ist richtig“, sagte er und verteilte etwas mehr Vogelfutter. „Es ist mir eine Freude, dich kennenzulernen, Eva.“ Wir saßen noch etwas länger zusammen und beobachteten die Tauben und die Wolken, bevor ich mich schließlich dafür entschuldigen musste, wieder an meine Arbeit zu gehen. Wie gesagt, ich hatte die Legende vom 14. Heiligen schon zuvor gehört. Die zahlreichen Legenden bemerkenswerter Hüter lassen sie wie mythische Gestalten erscheinen, so weit entfernt von allem, was die Zivilisten der Stadt jemals sehen oder erleben werden. Der legendäre 14. Heilige erscheint mir überhaupt nicht so. Tatsächlich denke ich, dass er ein sehr netter junger Mann ist.

Eine kleine Warnung
Lore
Der Anbruch ist eine Zeit der Großzügigkeit und des Schenkens. Es fühlt sich sehr schön an, ein Geschenk zu erhalten, besonders dann, wenn es ein Geschenk von jemandem ist, den man mag, und der sich wirklich Gedanken darüber gemacht hat. Wenn man sich dem Schenken mit Liebe und einem selbstlosen Herzen nähert, vertieft es die Beziehung zu einer anderen Person. Wie du sicher schon weißt, ist es genauso erfüllend, ein Geschenk zu machen, wie eines zu erhalten. Wenn man viele Geschenke bekommt, möglicherweise unerwartet, sollte man auf den Schenkenden schauen. Hast du ihm etwas gegeben? Geschenke gehören nicht kleinlich dokumentiert, aber wenn man mit kostbaren Geschenken aus purem Gold mit einer Vielzahl von Schmeicheleien überhäuft wird, dann sollte man kurz innehalten und darüber nachdenken, warum man sie bekommt. Manchmal sollte man diese Geschenke in Frage stellen. Sich überlegen, warum der Schenkende einen ausgewählt hat. Warum ich? Warum jetzt? Wenn du keine befriedigende oder beruhigende Antwort auf diese Fragen hast, stehen die Chancen gut, dass der Schenkende deine „Schulden“ sorgfältig aufzeichnet und eines Tages zurückkommen wird, um sie einzutreiben. Nicht alle Geschenke werden kostenlos vergeben. Vergiss das nicht. Das ist alles. Ich habe diesmal keine Geschichte. Nur eine Warnung.

Stilgefühl
Lore
Ich habe Ada-1 zum ersten Mal in den Wochen vor dem Anbruch getroffen. Sie besuchte mich an meinem Platz und verharrte an der Seite, während ich mit einem Kunden sprach. Ich konnte sie aus den Augenwinkeln sehen: still, leise, und ... vielleicht ein wenig nervös. Vielleicht habe ich mir das aber auch nur eingebildet. Als ich mit dem Kunden fertig war, deutete ich ihr an, zu meinem Arbeitstisch zu kommen. Das tat sie dann auch, hielt einen Moment inne, um mich mit meinen Stoffen zu beobachten, und fragte dann: „Ist der Anbruch ein Fest für Hüter?“ Ich lächelte. Ich wusste von einigen meiner Stammkunden—die Art, die zum Tratschen neigt—dass Ada kaum Erfahrungen mit den Bräuchen der Stadt hatte. „Der Anbruch ist für alle da“, sagte ich. „Für jeden in der Stadt und darüber hinaus, wenn er feiern möchte.“ Sie war einen Moment lang ruhig und dachte nach. Ich konnte nicht sagen, ob sie schüchtern war oder einer dieser zurückgezogenen Menschen, die die Stille bevorzugen. Für mich war beides in Ordnung. Schließlich drehte sie sich um, als wollte sie gehen, und hielt dann inne, um mich noch einmal anzusehen. „Ich habe deine Muster gesehen“, sagte sie. „Deine Farbpaletten für diese Feiertage. Ich habe ein paar Ideen, falls du sie einmal hören möchtest.“ Überrascht fragte ich sofort nach ihren Gedanken. Ich merkte schnell, dass sie ein ausgezeichnetes Gespür für Farben und Designs hatte. Sie war nicht daran interessiert, die ganze Dekoration für den Anbruch zu übernehmen, aber sie fungierte als stille und talentierte Beraterin. In den nächsten Wochen verbrachten wir viele Stunden zusammen damit, Stoffrollen zu sortieren, Farben zu vergleichen und Kombinationen in Betracht zu ziehen. Obwohl ich glaube, dass sie davor zurückschreckte, zu gesellig zu werden, denke ich gerne, dass sie sich für mich zu erwärmen begann—und für die Idee, Teil einer langjährigen Stadttradition zu werden. Ich weiß sehr wenig über Ada, außer, dass sie das Dunkle Zeitalter durchlebt hat. Das waren entsetzliche Zeiten. Die Hüter damals waren nicht das, was sie heute sind. Das Leben in gefährlichen Zeiten kann uns auf vielfältige Weise beeinflussen. Manchmal verändern diese Erfahrungen uns zum Besseren, manchmal nicht. Nach allem, was sie erlebt hat, hat Ada für sich selbst eine Lebensweise geschaffen, die zu ihr passt, und sie hat langsam damit begonnen, dieses Leben mit dem Leben zu vereinbaren, das sie hier im Turm und in der Stadt beobachtet. Das erfordert Mut. Ich bewundere es.

Notwendige Distanz
Lore
Ich glaube, dass unsere Stadt am meisten davon hat, wenn die Hüter und die Menschen, die sie schützen, zusammenleben und ihre Erfahrungen und Traditionen miteinander teilen. Ich weiß, dass Hüter Dinge erleben, die viele von uns nie ganz verstehen werden. Auf der Suche nach dem Glück würde nur ein törichter Mensch sagen: „Ich will ewig leben.“ Die Natur eures Lebens ist ein großes Geschenk des Reisenden, aber auch eine enorme Last, die die Hüter der Stadt bereitwillig angenommen haben, indem sie hier bei uns leben. Durch das Licht des Reisenden werden die Hüter ständig in Gefahr gebracht. Ja, die Einsätze sind für einen Hüter größer als für den Rest von uns—aber ist die emotionale Belastung so unterschiedlich? Wie sehr verlasst ihr euch darauf, euch gegenüber Angst und Trauma unempfindlich zu machen, um eure wesentliche Arbeit zu verrichten? Ikora sagt immer, ich solle nicht darüber nachdenken. Aber ich kann nicht anders. Ich habe den Hüter Eris Morn nie wirklich verstanden. Ich verankere mich selbst gerne fest im Jetzt, im Greifbaren. Wie kann ich das Leben meiner Freunde im Moment besser machen? Wie kann ich ihre Laune heben, für eine gute Unterhaltung oder ein gutes Essen sorgen? In der Vergangenheit habe ich festgestellt, dass Eris das Gegenteil davon ist. Ich habe ihr, zumindest in Gedanken, vorgeworfen ... düster zu sein. Mittlerweile glaube ich jedoch, dass sie die Dinge nur aus einer ganz anderen Perspektive betrachtet als ich. Die Dinge, die sie erlebt hat, sind für mich unvorstellbar, und so sehen wir die Welt auf unterschiedliche Weise. Also ja, ich glaube, dass Hüter und Nicht-Hüter eng zusammenleben und versuchen sollten, sich auf ihre Gemeinsamkeiten zu konzentrieren. Aber ich verstehe auch, dass uns unsere Differenzen manchmal voneinander entfernen. Für einige von euch ist es eine notwendige Distanz, die ihr einhalten müsst, um eure Arbeit zu tun. Das ist eine Wahrheit, mit der zu leben wir alle lernen müssen. Eris spielt übrigens sehr wohl eine Rolle bei vielen unserer Traditionen, insbesondere beim Festival der Verlorenen. Aber was für einen Wirbel sie immer macht! Als ich das erste Mal um ihre Hilfe bat, sagte sie zu mir: „Eva, die Arbeit, die ich verrichte, ist für das Überleben der Menschheit unerlässlich. Ich habe keine Zeit für eine, eine ... Party.“ Dann habe ich gesagt, was ich immer sage: „Die kleinen Dinge werden uns genauso gut durch diese Zeit bringen wie die großen. Lass die Blumen nicht im Topf welken, während du noch im Garten gräbst, Eris.“ Das gefällt ihr zwar nie, aber sie stimmt immer zu. Und ich glaube, sie nimmt gerne teil. Ich habe einmal gesehen, wie sie mit versteinerter Miene einem maskierten Hüter eine Schachtel Rosinen in die Hand gedrückt hat, sich dann umdrehte und grinste. Eris! Grinsend! Sobald ich mal eine Anbruch-Feier plane und ihr die alleinige Verantwortung übertrage, werden wir sehen, wie sie übers ganze Gesicht strahlt, da bin ich mir sicher.

Der unmotivierte Helfer
Lore
Die Bots im Turm haben mir sehr geholfen, mit den Menschen in der Stadt die Feiertage zu begehen. Ich bin nicht mehr so jung wie früher und es gibt eine Menge Konfetti, das man nach dem Ende der Feierlichkeiten auffegen muss. Erst neulich befand ich mich in auf einer etwas heruntergekommenen Treppe in der Nähe des Anbaus, trug eine Kiste mit Luftschlangen und suchte nach Hilfe. Am Fuß der Treppe befand sich ein Bot, der die immer gleiche Stelle fegte. Ich empfand sofort Sympathie für ihn und dann auch etwas Unmut. Sicherlich können wir unsere Ressourcen besser einsetzen. „Ich bin zur Wartung hier“, sagte der Bot. „Du scheinst gewartet zu sein“, antwortete ich fröhlich. Ich hielt ihm die Kiste mit den Luftschlangen entgegen. „Hier sieht es ausreichend gefegt aus. Vielleicht könntest du mir helfen, den Hof zu dekorieren.“ Der Bot neigte seinen Kopf nach unten, um auf die Kiste zu schauen. „Ich bin zur Wwwwwwwwww..“ Es sah wieder zu mir auf und fuhr damit fort, den Boden zu fegen, aber schneller. „Waaaaarrrrr—zzzt—Diese Aufgabe hat—niederes Nivvvvvvveau—nicht beteiligen, Ende d-d-der Unt—“ Ich sah ihm geduldig zu. „Seine wohltätige Majestä-tät, Majes—Wartung.“ Er hörte mit dem Fegen auf. „Ich bin zur Wartung hier.“ Ich stöhnte, stellte meine Kiste ab und nahm ihm den Besen aus der Hand, um ihn an die Wand zu stellen. Dann hob ich die Kiste wieder auf. Mein Rücken schmerzte schon. Ich gab ihm die Kiste und zeigte auf die Treppe. „Du kommst jetzt mit mir mit.“ Mit etwas Überredungskunst gelang es mir, ihn in den Hof zu locken. Ich zeigte auf die Stellen, an denen ich die Luftschlangen haben wollte. „Ich bin zur Wartung hier“, sagte er schwach. Ich ließ ihn alleine die Arbeit verrichten, ohne viel Hoffnung darauf, dass es meinen Anforderungen entsprechen würde—aber man kann nicht wählerisch sein, wenn man kaum Zeit hat. Es war also keine Überraschung, dass bei meiner Rückkehr sowohl der Bot als auch die Kiste mit den Luftschlangen weg waren. Da ich meine Kämpfe sorgfältig wähle, entschloss ich mich, es gut sein zu lassen—und jetzt bin ich noch dankbarer für die freundlichen funktionierenden Bots in meinem Dienst.