
Ein ganz normaler Tag im Turm
Lore
Die hochgezogene Augenbraue sprach Bände. Eva Levante grinste, was ihre sonst so todernste Miene beinahe aufhellte. Der Auftrag war simpel: ein Shader zur Feier des SIVA-Vorfalls. Aber Zavalas Vorschlag ... Ihre Begleiterin hielt ein Stück Stoff hoch, das eine grauenhafte Farbkombination aus Neongelb und Blutrot hatte – was schon schlimm genug gewesen wäre, aber das Ganze war auch noch von übelkeitserregenden Streifen umrahmt. Tess seufzte. „Er bringt die Schar zum Erzittern, aber diesen Mann sollte man niemals in die Nähe eines Farbkastens lassen.“ Die beiden Frauen lachten immer noch, als ein Beben den Turm erschütterte. Sie drehten sich gleichzeitig in die Richtung, aus der das darauffolgende Geräusch kam – ein donnerndes Grollen aus der Ferne, wie sie es noch nie zuvor gehört hatten. Aus dem Lautsprecher in dem kleinen Lagerraum, den sie zu ihrem Treffpunkt gemacht hatten, plärrte es: „Evakuierungsbefehl 77 ist aktiv. Das ist keine Übung. Alle Zivilisten sollten sich sofort zu den Evakuierungsbereichen begeben.“ Tess ging zur Tür und drückte sie auf, als eine weitere Explosion – dieses Mal viel näher – sie erneut erschütterte. Rauch und Schreie füllten den Gang. Evas Erinnerungen an das, was danach folgte, waren durcheinander. Sie rannte schwer atmend mit Tess. Sie erinnerte sich daran, die Namen ihrer Cousins gemurmelt zu haben, voller Sorge um ihr Wohlbefinden unten in der Stadt. Dann fand sie sich in einer großen Menge wieder, Tess fiel zurück, während Eva nach vorne gedrängt wurde. Eine weitere Explosion und eine Brandschutztür schloss sich. Tess war fort und Eva fand sich mit ungefähr dreißig Leuten in einem kleinen Frachtdock zwischen Turm Nord und der Halle der Hüter wieder. Ein Mann versuchte eine Tür zu öffnen und schrie, dass diese versiegelt sei. Dann brach die Decke ein, als eine riesige Kugel einschlug. Kabale entstiegen dem Pod und kämpften mit ihrer klobigen Rüstung, als sie begannen, auf die Zivilisten zu schießen. Genau in diesem Moment traf sie ein blendender Energiestoß von hinten. Das Geschrei hörte sich nach zehn Mann an, aber als Eva wieder sehen konnte, war da nur ein riesiger Hüter, der einen Kabal-Soldaten mit einer Klinge auslöschte, die so groß wie Eva war. Das behelmte Gesicht von Lord Shaxx drehte sich nach rechts und links, um sich im Raum zu orientieren. Mit zwei großen Schritten war er an ihrer Seite angelangt und half ihr mit überraschender Sanftheit auf die Beine. „Madam“, begann er und sie konnte den Bass seiner Stimme in ihrer Brust fühlen. „Ich brauche deine Hilfe.“ Auf sein Drängen hin übernahm sie die Kontrolle über die Zivilisten, während er sich an die Spitze ihrer kleinen Gruppe begab. Mit der Selbstsicherheit und der stärkenden Präsenz des Schmelztiegel-Meisters als Unterstützung war es ein Leichtes, die anderen zur Ruhe und Konzentriertheit zu bringen. Als sie die Evakuierungsstelle erreichten, wartete dort ein Trio nervöser Hawk-Piloten mit ihrem Schiff. Als der Letzte der Gruppe an Bord ging, legte Shaxx eine schwere Hand auf ihre Schulter. Er ragte vor ihr auf und sagte einfach: „Kameradin.“ Und dann war er fort, zurück in die Schlacht, mit seinem riesigen Schwert über der Schulter. Als das Schiff startete, warf Eva einen letzten Blick auf den Turm und sah Schutt und Asche.

Schwinden des Lichts
Lore
„Valentina! Und ihr Sohn, Luis! Wanderfalkendistrikt! Wohnblock 10, vierter Stock! Das mit der ...“ Eine Explosion in der Nähe unterbrach sie, doch sie schrie nur noch lauter in das Funkgerät. „Das mit der grünen Markise! Bitte!“ Die Stimme der Milizfrau am anderen Ende war emotional. „Ich schicke eine Einheit! Aber Ma'am, die Kämpfe im ganzen Distrikt sind ...“ „Habe ich nicht meinen Turm-Sicherheitscode durchgegeben?“ Eva erschrak vor ihrer eigenen Stimme. Ein Peitschenschlag der Wut. Eine Pause am anderen Ende. „Ja, Ma'am. Ich gehe selbst. Tozzi over.“ Eva lehnte sich gegen – sie hob den Kopf und blickte sich um – etwas, das einmal eine Bäckerei gewesen sein muss. Jetzt verbarrikadierten die kleinen Café-Tische die Türen und die Glasvitrine der Theke war in die Regale am anderen Ende des Raumes geschleudert worden. Der Miliz-Exo, von dem sie sich das Funkgerät geliehen hatte, gab ein paar weitere Schüsse über die halbe Mauer ab, die vom Äußeren des Ladens noch übrig war. Er blickte nervös zurück in ihre Richtung. „Kannst du schießen?“ Ihr hilfloser Gesichtsausdruck schien Antwort genug gewesen zu sein, denn er griff nach dem Funkgerät. Sie rutschte über den Boden und er gab blitzschnell eine Reihe von Codes ein. Eine weitere Explosion in der Nähe brachte die anderen Zivilisten im Raum dazu, voller Angst zu wimmern und zu stöhnen. Der Exo bellte ins Funkgerät. „Wir brauchen Hüter-Unterstützung bei der Ecke von Block 1400 im Ankerdistrikt! Ich habe hier eine Menge Zivilisten und unsere Position wird überrannt!“ Seine Nachricht unterstrich er, indem er sich nach vorne lehnte und ein weiteres halbes Dutzend Schüsse abfeuerte. Die Kabale brüllten mit animalischem Zorn zurück. Nicht mehr als zwei Minuten waren vergangen, als Eva es hörte: das unverwechselbare Geräusch eines Sparrows in voller Fahrt. Sie wagte es, halb in die Hocke zu gehen und aus dem Gebäude zu blicken. Sie schaute gerade rechtzeitig hin und sah zwei von ihnen, eine Jägerin und einen Warlock, als sie wie Rachengel auf die Eindringlinge zu rasten. Diese beiden waren Profis, das konnte sie sehen – ihr Handeln war pragmatisch. Sie waren effizient und tödlich und die Soldaten zogen sich langsam zurück. Dann passierte etwas. Eva konnte nicht sehen, was es war, doch beide Hüter taumelten. Der Warlock ging in die Knie, als hätte jemand die Fäden wie bei einer Marionette durchgeschnitten. Die Jägerin schüttelte ihren Kopf und hob eine Hand in die Luft – ein unverwechselbares Zeichen, ein Ruf nach dem Licht ... doch nichts passierte. Die Kabale, als hätten sie auf diesen Moment gewartet, schlugen hart zu. Die Jägerin wurde von einem angreifenden Zenturio umgerannt und unter seinen Füßen zertrampelt. Der Warlock schien sich nicht ganz erholt zu haben und fiel zu Boden, während die Schüsse dutzender Soldaten auf ihn hinabregneten. Der Exo stand jetzt ganz auf, geschockt, und als Eva ihren Mund öffnen wollte, um ihm zu sagen, dass er ihn Deckung gehen solle, fiel er – als Opfer eines Scharfschützen. Einer der Männer übergab sich vor lauter Entsetzen in eine Ecke. Eva erlaubte sich keinen Moment zum Nachdenken. Sie hob das Funkgerät vom Boden auf und drängte sich durch die Zivilisten zu einem Fenster an der anderen Seite des Raums. Sie nutzte das verstärkte Gehäuse, um das Fenster einzuschlagen, und begann, Kinder hindurchzuheben, nachdem sie die größten Scherben aus dem Rahmen entfernt hatte. Sie war die letzte, die das Gebäude verließ und ein paar Querschläger schlugen in die Wand neben sie ein, als sie hinausflüchtete. Sie hörten nicht auf zu rennen, bis sie sich sicher waren, dass ihnen niemand folgte. Sie hatte keine Ahnung, in welchem Distrikt sie waren oder welche Gebäude hier einst gestanden hatten. Viele der ihr bekannten ordentlichen Straßen und gepflegten Alleen waren nur noch ein Labyrinth aus Trümmern – die letzte sichere Stadt, ein Labyrinth zusammengebrochener und zerstörter Strukturen. Die Kinder hatten sich alle zusammengedrängt, während die Erwachsenen leise miteinander sprachen. Jeder von ihnen weinte ab und an, aber sie versuchten alle, möglichst still zu sein. Ein gellendes Zwitschern, das durch den Funk zu hören war, erschrak Eva und sie stoß sich den Hinterkopf an der Wand hinter ihr. Sie hatte ganz vergessen, dass sie es noch bei sich hatte. Sie griff danach und drückte auf die Taste. Ein Flüstern sagte: „Ma'am?“ Ihre eigene Stimme war tief und überraschend ruppig: „Hier spricht Eva Levante. Spricht da Tozzi?“ Eine Pause. „Tozzi ist tot. Sie bat mich aber, mich wieder zu melden.“ Eine weitere lange Pause. Eva kämpfte gegen das Bedürfnis zu schreien an. „Es tut mir leid, Mrs. Levante. Block 10 existiert nicht mehr. Ich glaube, eines der automatischen Verteidigungssysteme ist während des Beginns der Kämpfe online gegangen und eines ihrer Kommandoschiffe muss abgestürzt sein ...“ Den Rest der Worte hörte Eva nicht mehr.

Ein Versteck in der Heimat
Lore
Eva überprüfte die Uhrzeit auf dem kleinen Funkgerät, das sie an ihre Brust drückte. Es schien unmöglich, aber es waren weniger als zwei Stunden vergangen, seitdem sie lachend mit Tess zusammengesessen hatte. Für sie zog sich die Zeit wie die Kaubonbons, die einige Händler während des Anbruch-Festivals verkauften. Sie hätte schwören können, dass es Tage her war. Und noch länger schien es her, dass sie in der Wohnung ihrer Cousine saß und Valentina drückte. Und sich von Luis verabschiedete ... „Eva, wir schulden ihnen nichts.“ Ein raues Husten, einer der Zivilisten. Jedermanns Stimme war nur noch ein ruppiges Kratzen. Asche erfüllte die Luft und setzte sich überall fest. Eva drückte sich einen Lappen an den Mund, während sie krächzend antwortete. „Wie kannst du es wagen?“ Ihre Stimme schwoll vor Zorn an. „Dein ganzes Leben lang haben sie dich beschützt und jetzt willst du sie einfach im Stich lassen?“ Der Gegenstand ihres Disputs lag auf dem Boden des Lagers. Ein Hüter-Quartett – sie alle waren verletzt und bluteten unter ihrer schimmernden Rüstung. Selbst als sie die Zukunft ihrer kleinen Truppe abwog, musste sie anerkennen, wie gut deren Modegeschmack war. Der Jäger hatte sich natürlich die meiste Mühe gegeben. Der Mann, mit dem sie sich stritt, war dickbäuchig und hatte keine Ahnung von Mode, was man an seiner langweiligen funktionellen Uniform sah: Er arbeitete für den Konsens. Er blickte sie mürrisch an und verkündete mit rauer Stimme: „Wir können kaum eine größere Menge von uns von A nach B bringen ... ganz zu schweigen von einem Haufen verwundeter, machtloser Hüter. Warum sollten wir unsere Leben r...“ „Glaubst du nicht, dass sie nicht hunderte Male ihre Leben für dich riskiert haben?“ Sie nahm den Lappen von ihrem Gesicht und spuckte Schleim vermischt mit Asche zur Seite. Ihre Mutter wäre vor lauter Schreck glatt noch einmal gestorben. „Wir müssen weiter, wir müssen sie mitnehmen und wir müssen durchhalten. Was auch immer das hier ist, es ist temporär.“ Er verzog das Gesicht, doch sie redete weiter: „Wenn sie das Licht wieder erlangen, werden sie ...“ Ihre Tirade wurde von einem lauten Rauschen aus dem Funkgerät unterbrochen. Es war so laut, dass sie das Gerät zu Boden fallen ließ. Das verstärkte Gehäuse fing den Aufprall ab und alle Umherstehenden hörten die tiefe Stimme von Commander Zavala, als er zu sprechen begann: „Bürger der Letzten Stadt. Hört mir zu.“ Wie ein verdurstendes Volk umringten die Zivilisten das Funkgerät. Zavala war stets ein Stützpfeiler, ein Schimmer der Hoffnung in ihren Leben gewesen. Sicherlich würde er nicht ... „Wir geben die Stadt auf. Wir haben evakuiert, wen wir konnten, aber die Kabale jagen jetzt Hüter in den Straßen. Wenn es möglich ist, solltet ihr euch in die Wildnis begeben.“ Eva fühlte sich, als sei ihr ein Schlag versetzt worden. „Die Kabale haben eine Art Maschine an den Reisenden angebracht und unsere Verbindung mit dem Licht getrennt. Wir können die Stadt nicht länger halten und wir können euch nicht länger schützen.“ Er machte eine lange Pause, als wollte er seine Worte genau abwägen. Als er wieder sprach, klang Zavala sehr, sehr müde. „Wir richten an einem anderen Ort im System einen Treffpunkt ein. Eine Übertragung dazu folgt. Eines Tages werden wir in die Stadt zurückkehren, aber ... ich weiß nicht, wann.“ Eine weitere Pause. „Seid vorsichtig. Seid stark.“ Und weg war er. Man musste es der Gruppe lassen, sie schrien nicht. Auch, wenn es nur ein paar Stunden waren, waren sie am Leben, weil sie gelernt hatten, ihre Position nicht zu verraten. Sie weinten jedoch. Tränen rannen ihnen über die von Asche beschmutzten Gesichter; diese Gesichter blickten sich gegenseitig an, als sie versuchten, zu verstehen, was passiert war. Eva weinte nicht. Sie konnte nur das Übertragungsgerät anstarren und an Zavalas Schultern denken. Sie witzelte oft mit ihm über die Größe der Schulterplatten an seiner Rüstung und diese riesige Schutzplatte an seiner linken Schulter. Und jetzt ... ganz plötzlich ... meinte sie, es zu verstehen. Das Gewicht, das auf seinen Schultern lastete ... Eva stand da und alle Blicke waren auf sie gerichtet. Sie zuckte leicht zusammen. Und dann sagte sie mit sorgsam gewählten Worten: „Die meisten von ihnen gehen. Also müssen wir ihnen helfen.“ Sie deutete auf die Hüter. „Wenn wir sie am Leben halten können, können sie uns verteidigen, uns schützen.“ Sie blickte sich in der Runde um und sah einige von ihnen nicken. „Wohin gehen wir?“, fragte eine Frau. Eva blickte wieder auf das Funkgerät. „Die Kabale haben das sicherlich gehört. Sie werden an der Mauer patrouillieren und auf uns warten.“ Sie blickte auf und in die Runde. „Deshalb bleiben wir hier. Wir gehen zum Rand der Stadt und finden einen Ort, an dem die Kabale uns nicht vermuten werden.“ Die Schneiderin bückte sich, hob das Übertragungsgerät auf und hängte es sich über die Schulter. „Alle Mann aufstehen. Der Weg zum Dämmerbruch ist weit.“

Der neue Alltag
Lore
Schon allein bis zum Stadtrand zu kommen war eine Tortur. Jeden Tag konnten sie sehen, wie die Kontrolle der Kabale sich ausbreitete. Gruppen von Zivilisten oder vereinzelte Hüter versuchten zu fliehen, nur um von einem Geschwader Schiffe eliminiert zu werden, die auf eine solche Gelegenheit warteten. Auch die Straßen waren nicht sicher, denn überall waren Patrouillen unterwegs und Panzer rollten durch die Distrikte. All die Jahre, in denen Eva die Hüter unterstützt und ihrem Geplapper gelauscht hatte, hatten ihren Kopf mit Bildern dieser fürchterlichen Eindringlinge gefüllt. Sie bemerkte, dass sie gnadenlos Häuserblock um Häuserblock säuberten – einfallslos und ineffizient. Genau wie es im Turm beschrieben wurde. Ihre Gruppe versteckte sich, beobachtete genau und bewegte sich nur, wenn die Kabale dies auch taten. Auf diese vorsichtige Art und Weise schafften sie es an die äußersten Grenzen der Stadt – eine verlassene Gegend, in der die Menschheit nicht mehr als ein Schatten an der Mauer war. Jeden Tag gab sie Ratschläge, organisierte Patrouillen, um Vorräte aus der Stadtmitte zu schmuggeln. Abends war sie damit beschäftigt, Strategien für die nächsten Tage vorzuschlagen. Und zu ihrer großen Freude verbrachte sie die Nächte mit Nadel und Faden, um dafür zu sorgen, dass die Überlebenden auf der Reise warm bleiben würden. Als die drei Hüter sich erholten (der Titan war auf dem Weg zum Bruch gestorben), begannen sie mehr und mehr, durch ihr Wissen und Können zu unterstützen. Auf ihren Vorschlag hin verbrachten die Überlebenden nie mehr als einen oder zwei Tage am selben Ort. Jede Nacht hielt jemand Wache und das Funkgerät stellten sie nur alle zwei Tage an, um eventuelle Übertragungen zu hören. Vielleicht hatten sie Glück. Es gab ihnen Hoffnung. Eva war im selben Raum wie die Hüter, als Zavalas Stimme erklang – seine kurze, präzise Aussage lief in der Endlosschleife. „Sollte im System noch Licht übrig sein ... treffen wir uns auf Titan.“ Sie schloss die Tür, damit die anderen Zivilisten nicht lauschen konnten und hörte selbst ganz genau zu, als die Hüter begannen, sich zu streiten. Der anderen Warlock, Tam, identifizierte sich als Trinhs Schwester. Sie waren entschlossen zu versuchen, irgendwie den Orbit zu erreichen und zu Titan zu reisen. Der Jäger, Ramos, war genauso entschlossen, zu bleiben. Ihre Diskussion erstarb langsam und alle drei Hüter blickten sie an. Eva hob die Hände abwehrend und sagt: „Ich vertraue euch allen, dass ihr das Richtige tun werdet.“ Sie blieben. Und wurden sehr schnell sehr wichtig für den Erfolg ihrer ... Operation. Was als einfache Überlebensmission begonnen hatte, war zum organisierten Versuch geworden, Zivilisten aus der Letzten Stadt zu evakuieren. Die Versorgungstrupps kamen jedes Mal mit mehr Leuten zurück. Spähertrupps suchten die Stadtgrenzen ab und fanden Fluchtwege – Stellen, an denen die Kabale nicht gründlich patrouillierten. Eva bemerkte, dass die gleichen Fähigkeiten, die sie zum Planen von Festlichkeiten im Turm genutzt hatte, unschätzbar wertvoll für die Organisation dieser Untergrundbewegung waren. Sie trug Tafeln aus alten Klassenzimmern zusammen, um einen Zeitplan zu erstellen, und schrieb auf die Rückseite von alten Formularen und Rundschreiben, um „Lieferlisten“ von Zivilisten und dem ein oder anderen lichtlosen Hüter zu machen. Tag ein, Tag aus war das ihre stille Routine. Sie verschwand in den Hintergrund der Bewegung: planen, weiterziehen, nähen und wieder von vorn. Selbst als endlich Kontakt mit der Farm etabliert wurde und es zum Ziel wurde, Zivilisten in die ETZ zu bringen, war Eva stets da, um dafür zu sorgen, dass alles nach Zeitplan lief. Nach einiger Überlegung bat sie darum, dass ihre Rolle nicht öffentlich gemacht werden würde. Sie hatte Leuten wie Tess mitteilen lassen, dass sie am Leben war, und das war genug für sie. Sie hatte dutzende Male die Gelegenheit, aus der Stadt zu verschwinden. Doch jedes Mal, wenn sie dachte, dass sie aussteigen und mit dem Konvoi gehen würde, hielt sie sich selbst davon ab. Beruhigte sich. Arbeitete. So vergingen die Monate der Roten Schlacht für Eva Levante.

Der Kampf um das Gute
Lore
„Abuela? Ma'am?“ Die Stimme war leise, fast schon ein Flüstern, doch sie war laut genug, um Eva aufzuwecken. Für einen kurzen, verwirrenden Moment dachte sie, sie würde wieder in ihrem Wohnzimmer im Wanderfalkendistrikt sitzen – ihre Lieblingshäkeldecke am Ende der Couch und Carlos, der über ihr stand. Doch es war nicht Carlos. Die besorgten Augen des Jägers, Ramos, waren auf sie gerichtet. Einige der Hüter, die zeitweise Teil des Untergrunds waren, hatten sie Großmutter genannt, aber Ramos war während all der langen Monate der Schlacht bei ihnen geblieben. Er war sehr beschützerisch, manchmal beinahe schon erdrückend und sie seufzte, als sie sich die Augen rieb. „Ich bin wach, ich bin wach. Wie viel Uhr ist es?“ Sie setzte sich auf der alten Couch, auf der sie schlief, auf und zuckte zusammen, während sie versuchte, die Verknotungen zu lösen, die sie vom Schlafen auf der Seite hatte. „Fast sieben Uhr?“ Seine Stimme war ruhig und ein wenig verlegen. Sie warf ihm einen wütenden Blick zu. „Du hättest mich vor einer Stunde wecken sollen.“ Er grinste schief. „Du hast den Schlaf gebraucht.“ Sie stand vorsichtig auf, tappte auf unsicheren Beinen und drehte ihr Gesicht von ihm weg, damit er ihre Verärgerung nicht sah. „Warten sie schon?“ „Sie sind gerade erst angekommen. Was einer der Gründe war, warum ich gewartet habe. Sie erwarten dich erst in ungefähr zehn Minuten“, versuchte er sich zu rechtfertigen. Eva seufzte wieder. „Danke, Ramos. Du hast Recht. Den Schlaf habe ich wirklich gebraucht. Ich war gestern Nacht wieder zu lange wach. Sag ihnen, dass ich gleich runterkomme.“ „Ja, Ma'am.“ Er klang jetzt fröhlicher und seine Schritte waren auf dem Weg nach unten leicht und selbstbewusst. Eva ging in das Badezimmer, das neben dem Wohnbereich dieser Wohnung im zweiten Stock lag. Wie üblich goss sie etwas Wasser aus dem Rationskanister in das verstöpselte Waschbecken, um sich zu waschen und sich nicht mehr ganz so zu fühlen, als hätte sie auf einer halbverrotteten Couch in einem verlassenen Gebäude geschlafen. Wasser tropfte ihr von der Nase und sie griff blind nach einem der Stofffetzen, die sie als Handtuch benutzte, und trocknete ihr Gesicht. Als sie wieder klar sehen konnte, sah sie ihm Spiegel nur eine Fremde. Eva war schon immer eher dünn gewesen. Sie konnte sich immer noch daran erinnern, wie ihre Mutter sie gerügt hatte, wenn sie ihre Mahlzeiten nicht komplett aufgegessen hatte. Die Frau, die ihr jetzt gegenüber stand, war geradezu ausgemergelt. Ringe unter den Augen, brutal kurzes Haar ... und ihre Klamotten! Die Kleidung, die sie am Tag des Angriffs getragen hatte, hatte keine zwei Wochen durchgehalten, denn für das raue Leben war sie nicht gemacht. Das selbstgemachte Outfit, das sie sich zusammengenäht hatte, hätte ihrer Musterung im Turm niemals standgehalten, aber ... hier draußen musste es reichen. Zumindest hatte sie ihr Markenzeichen, den Schal, retten können. Er erinnerte sie an bessere Zeiten ... Als sie sich ins Wohnzimmer begab, dachte Eva darüber nach, dass bessere Zeiten natürlich der Grund waren, warum die Gruppe unten versammelt war. Alle Anführer der Untergrund-Zelle hatten sie sich für ein wichtiges – und vielleicht letztes – Gespräch zusammengefunden. Für den Untergrund war die Rote Schlacht ein unfassbarer Sieg. Sie hatten gewonnen. Alle paar Wochen hörten sie Geschichten über Hütergruppen, die in einem vermeintlich sicheren Bunker von der Legion überrannt wurden. Der Verlust der vielen Zivilisten war niederschmetternd – sowohl durch den ersten Angriff als auch in den darauffolgenden Monaten. Als sie durch einen Schlitz an der Seite des mit Brettern vernagelten Fensters auf die Straße spähte, musste sie sich ein Gefühl der ... Zufriedenheit eingestehen. Alles, was es jetzt noch für den Untergrund zu tun gab, war denselbigen zu verlassen, es zur Farm und zu Hawthornes Gruppe zu schaffen, die alleine durch ihre Mitgliederzahl für Sicherheit sorgen würde. Eva hob den Blick von der leeren Straße und blickte auf den Turm, der schief und ruiniert in der Ferne stand. Sie würde sagen, dass sie sich entschieden hatte. Hüter wie Ramos dürften ab und zu nach ihr sehen, aber sie würde zurück bleiben und Stellung halten. Es könnte da draußen immer noch überlebende Flüchtlinge geben, die immer noch ... auf einen Ausweg hofften. Sie wandte sich vom Fenster ab, um nach unten zu gehen, als die Explosion die Straße vor der Wohnung erschütterte und Evas Welt in weißem Licht aufging.

Letzter Tag
Lore
Eva schüttelte den Kopf und versuchte zu verstehen, wo sie war, das zweite Mal innerhalb weniger Minuten. Es hatte keine Warnung gegeben. Ein paar Sekunden lang konnte sie jaulende Motoren über sich hören, dann donnerte eine gewaltige Explosion durch die Straße vor der Untergrundwohnung. Die Erschütterung hatte sie zu Boden gerissen als wäre sie eine Puppe. Alles schmerzte und sie hörte die gutturalen Schreie von Kabalsoldaten in der Nähe. Wie zur Antwort ertönten die unverkennbaren Schüsse von Hüterwaffen. Jemand schrie. Ohne nachzudenken war sie wieder auf den Beinen und schnellte zur Ecke, wo ihre Schrotflinte auf dem kleinen Tisch lag. Drei Schritte, vier, Waffe in der Hand, bereit. Gerade rechtzeitig, als die Wohnungstür aufflog und zwei Psions eintraten, Waffen im Anschlag. Eva Levante, die Schneiderin des Turms, wäre absolut sprachlos gewesen. Die hagere Frau, die sie noch eben im Spiegel gesehen hatte, hatte Monate mit Trockenschießübungen verbracht. Endlose Drills hatten sie für den Ernstfall vorbereitet, so dass ihr erster Schuss den rechten Psion geradewegs in die Brust traf und ihn aus dem Zimmer schleuderte. Der heftige Rückstoß traf sie jedoch unvorbereitet und sie fühlte etwas in ihrem Arm knacken, als die Waffe gegen sie schlug. Der Stoß rettete ihr das Leben, da sie sich zur Seite drehte und so haarscharf den Schüssen der anderen Kabalkreatur entkam. Mit einem Aufschrei riss sei die Waffe hoch und ihr Antwortschuss warf ihn gegen die hintere Wand. Sie atmete schwer, während sie mit einer Hand die Waffe nachlud, wartend, lauschend. Von draußen vernahm sie nichts. Doch unten war das Gefecht in vollem Gange. Sie brauchten ihre Hilfe. Sie trat zur Tür, die Waffe vor sich haltend … Das Geräusch des durch das Fenster springenden Kriegsbiests war wie eine weitere Explosion. Eva wirbelte herum, als das schuppige Vieh zur Seite kroch und ein weiteres Paar sich von dem schwebenden Truppentransporter ins Wohnzimmer fallen ließ. Sie landeten mit überraschender Grazie und starrten die Schneiderin mit gierigen Augen an. Speichel tropfte auf den Boden, als drei reißzahnbewehrte Mäuler aufgeregt auf- und zu schnappten. Eva feuerte. Die Biester setzten zum Sprung an.

Fürsorge
Lore
Eva Levante stand gegen die efeubedeckte Wand der Scheune gelehnt und starrte gedankenverloren aufs Fußballfeld der Farm. Die alten Netze hingen schlaff herunter. Müssen neu aufgezogen werden. Doch niemand kam vorbei, der sich genug kümmerte, um das zu übernehmen, und die jetzigen Farmbewohner waren nicht gerade sportlich. Hinter dem Feld konnte man die Hügellandschaft der Europäischen Todeszone erblicken und am Horizont den verdrehten, kaputten Ausläufer, der als Bruchstück des Reisenden bekannt war. In den ersten Tagen nach der Attacke auf die Wohnung, genoss sie den Ausblick mit einer neugefundenen Begeisterung. Doch jetzt sah sie gelangweilt zu, wie die Wolken dahinzogen und sich um das Bruchstück sammelten. Eva lächelte und verlegte ihr Gewicht von der wand auf den gebogenen Gehstock, der sie aufrecht hielt. Dass sie überhaupt gelangweilt sein konnte, nach allem, was passiert war. Ihre ersten Tage auf der Farm bestanden aus einem Wirbelwind von Behandlungen, von Betreuern eilig ausgeführt, die bereits im Begriff gewesen waren, zu gehen, als sie ankam. Es war in den letzten Tagen der Roten Schlacht, ein riesiges Unterfangen war geplant, die Stadt wieder einzunehmen. Eine alte Frau, die aus dem Untergrund kam, stand nicht oben auf der Prioritätenliste, und in dem ganzen Trubel bekam sie nicht einmal die alten Freunde, die sie so vermisste, zu Gesicht. Jetzt war sie allein. Oder fast allein. Sie drehte sich um und erblickte die Kryptarchin Tyra Karn vertieft ins Gespräch mit dem Postdroiden der Farm. Nun, da die Hauptoperationen wieder in die Stadt zurück verlegt worden waren, war Darbi zu Tyras inoffiziellem Forschungsassistenten geworden. Zusammen studierten und untersuchten sie die Geschichte der Menschheit durch die Linse der Todeszone, eine Nebenbeschäftigung vom Durcheinander im Turm, die Tyra nur zu gern annahm. Der Späher, Devrim, kam ebenfalls denn und wenn vorbei, um sich zu unterhalten. Wenn er besonders guter Dinge war, nannte er ihre kleine Gruppe das „Altersheim“, wobei er über eine Tasse Tee gebeugt schief grinste. Natürlich hatten beide auch richtige Jobs zu erledigen, welche sie auch sehr ernst nahmen. Eva befand sich sehr inoffiziell auf der Farm. Ihre Rolle im Turm war natürlich nie wichtig für Missionen gewesen … aber es hatte sie auch niemand zurück zum Markt verlangt. Tess und Banshee hatten sich manchmal gemeldet und Eva hatte sie beraten, wie sie doch ihre neuen Läden aufbauen sollten. Doch Eva war hier auf der Farm für die Verlorenen. Sie erreichten den Ort alleine oder in Zweiergrüppchen. Und sie alle hatten etwas gemeinsam: das Bruchstück des Reisenden hatte sich nicht mit ihnen verbunden. Sie waren hier, um es aus der Ferne anzustarren. Um darüber zu sprechen, wie schwer die Rote Schlacht für sie als entmachtete Hüter gewesen war, wie die Umstände sie dazu gezwungen hatten. Als das Licht zurückkehrte, gab es nicht wenige, die berichteten, dass es sich anders anfühle. So als ob es unter der Haut saß wie ein Anzug, der nicht mehr richtig passt. Eine zierliche Exo-Frau war eine der Pilger, an die sich Eva am besten erinnerte. Sie hatte nicht einmal gewusst, dass es Exos gab, die so klein waren. Die Frau zuckte und wiegte sich hin und her, während sie sprach, war nicht in der Lage still zu halten. Wenn sie hörte, dass das Licht sich anders anfühlte, eine Aussage, die sie oft von Hütern vernahm, stellte Eva immer die gleiche Frage: „Heißt das also, dass das Licht sich verändert hat oder du?“ Die Exo hielt inne und verengte die Augen. Zum ersten Mal, seit sei auf der Farm angekommen war, hielt sie still. So trug es sich üblicherweise zu. Manchmal reichte diese Frage aus, damit sie wieder klar kamen. Bei anderen dauerte es länger, diese verbrachten Wochen auf der Farm damit das Bruchstück anzustarren. So wie Eva. Und wiederum andere … kamen zur Farm, fanden keine Antworten und machten sich zu Fuß auf zu dem riesigen Gebilde am Horizont. So weit Eva wusste, war nie jemand über die Farm zurückgekommen. Es war schon ein seltsames Leben. Immer wieder seltsame Zeiten und wieder eine Rolle, um die sie sich nicht beworben hatte. Und doch war sie gut darin. Eva Levante hatte kein Interesse in die Stadt zurückzukehren.

Unsichtbare Narben
Lore
Die Kommunikationseinheit in ihrem kleinen Zimmer piepste laut genug, um Eva aus tiefem Schlaf zu reißen. Eva hatte das kleine Nebengebäude mit der Hilfe von Tüchern und Kunst, die sie in der Todeszone gefunden hatte, in einen heimeligen Ort verwandelt, doch sie brauchte einen Moment, um zu begreifen, wo sie war, wie es nun so oft passierte, wenn sie plötzlich aus dem Schlaf gerissen wurde. Sie stöhnte auf, als sie sich aus dem Bett rollte und sich auf dem nebenstehenden Möbel abstützte. Die Wunde, die die Kriegsbiester gerissen hatten, war erheblich, und selbst jetzt noch konnte sie die Steifheit in ihren Beinen spüren, wo Bray-Tech Knochen und Sehnen wieder zusammengeflickt hatte. Sie ließ sich in den Stuhl vor der Kommunikationseinheit fallen. Das Licht des Bildschirms erhellte den sonst stockdunklen Raum. Sie blinzelte verschlafen das Gerät an, als Tess Everis deutlich wurde. In der Stadt war es helllichter Tag und Tess war arbeitsgerecht gekleidet. „Hast du eine Ahnung, wie viel Uhr es hier ist?“, fragte Eva kaum verhohlen genervt. „Ja, weiß ich allerdings.“ Etwas in Tess‘ Stimme ließ Eva aufhören und aufrecht sitzen. Tess sah angespannt aus. Beinahe schon … ängstlich. „Tess, was ist los, geht‘s dir gut?“ Eva war mit einem Schlag hellwach und zuppelte an ihrem türkisen Bademantel herum, um sich darin einzuwickeln. Ihr war plötzlich kalt geworden. „Tut mir leid, Liebes, ich wollte nur, dass du sofort unterrichtet wirst. Ich wette, Rahool ruft Tyra in diesem Moment an.“ Tess senkte ihren Blick und ließ ihn kurz schweifen, bevor sie ihn wieder der Kamera zuwandte. „Liebes, Cayde ist tot. Etwas ist gestern im Riff passiert. Ich kenne nicht alle Details, aber alle sprechen darüber.“ Eva verzog ihren Mund zu einem dünnen, besorgten Strich. Ihr war nie besonders viel an ihm gelegen, aber so viele Leute sahen zur Jäger-Vorhut auf. Verließen sich auf ihn. Und wenn etwas mächtig genug war, um Cayde-6 zu töten … „Die Legion?“ Tess schüttelte ihren Kopf. „Soweit man dem Wort hier glauben kann, steht es immer noch ruhig um sie.“ Zum ersten Mal seit Beginn des Gesprächs lächelte Tess verhalten. „Aber du weißt ja, wie zuverlässig die Gerüchteküche ist. Es könnte quasi alles gewesen sein.“ Eva lehnte sich stirnrunzelnd in ihrem Stuhl zurück. „Mein herzliches Beileid, Liebes, ich weiß, du mochtest ihn sehr.“ Tess zuckte nur mit den Schultern und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. „Jetzt tu aber mal nicht so, es ist noch nicht so lange her, dass wir uns auf dem Markt unterhalten haben.“ Tess hielt inne und nickte traurig. „Ich glaube, es wird eine Trauerfeier geben, kommst du dafür zurück?“ Jetzt war es an Eva, wegzugucken. Es war das erste Mal, dass jemand gefragt hatte, ob sie zurückkommt. Und dazu noch für eine Beerdigung. Eva war gerade dabei, sich eine Ausrede einfallen zu lassen, als Tess weitersprach, nun mit einer Spur Humor in der rauchigen Stimme. „Wenn du kommst, kannst du die Festtagsprogrammierung für die Droiden übernehmen.“ Evas Augen weiteten sich. „Die Droiden feiern die Festtage ohne mich?“ Tess grinste nun breit. „Wir waren genauso überrascht! Irgendwie wurde die ganze Festtagsdeko mit den wichtigen Sachen zusammengepackt, als wir in den neuen Turm gezogen sind. Und als deine Programmierungen aktiviert wurden, ist es ihnen gelungen, die entsprechenden Kisten zu finden. Tess nahm ihr Komm-Gerät in die Hand und drehte es so, dass das Mannequin in der Ecke mit dem Anbruch-Hütchen auf dem Kopf zu sehen war. Eva schüttelte fassungslos den Kopf. „Sie haben den Anbruch ohne mich gefeiert.“ Das Gesicht von Tess schob sich wieder in den Bildschirm. „Über den Sommer hatte Ikora auch Hilfe dabei, ein Event zum Ende des Krieges zu organisieren.“ Eva versuchte, sich ihre Gereiztheit nicht anmerken zu lassen. „Wie war‘s?“ Tess wiegte den Kopf hin und her, nachdenklich. „Oh … naja, war ganz okay.“ Als sie sah, wie sich Evas Mund missbilligend verzog, lachte sie. „Es war nicht so wie deine Feste, Liebes.“ Sie seufzte. „Oh, es tut so gut zu lachen. Komm in den Turm zurück! Selbst wenn es nur zur Beerdigung ist. Ich hab dich schon seit gefühlten Jahren nicht mehr umarmt.“ In der Dunkelheit ihres Zimmers drehte sich Eva zum Fenster um. Am Horizont hing das schwach leuchtende Bruchstück wie ein Anker, ein Symbol der Vergangenheit. Eva sah sich wieder zu ihrer Freundin um und lächelte.

Du kannst nie wieder heimkehren
Lore
Eva Levante zog die Tür zu ihrer Lagereinheit auf und würgte, als der Gestank sie traf. Sie wandte sich an die beiden Droiden, die sie begleiteten und zeigte auf das Innere des Raums. „Fangt mit der Desinfizierung des Raums an. Wenn alles sauber ist, dann holen wir die Kisten.“ Die beiden Droiden nickten ihr zu und piepten zustimmend. Sobald sie die Türschwelle betreten hatten, fegten sie bereits mit Hingabe dahin. Eva stolperte auf ihren Gehstock gestützt einige Schritte zurück, damit ihre Kleidung nicht schmutzig wurde. Um sie herum herrschte reges Treiben auf dem Marktplatz. Zivilisten verbrachten ihre Mittagspause draußen, manche gingen Windowshopping nach, Droiden putzten, gingen Streife und lieferten Waren ab, überall liefen Hüter herum—ein buntes Durcheinander aus Farben und Style, während sie über den Platz huschten, schwebten und sprangen. Eva runzelte die Stirn, wieder von sich selbst genervt, dass sie sich von Tess und Amanda (teilweise) hatte überreden lassen, zurückzukommen. Nichts fühlte sich richtig an, nichts fühlte sich … bequem an. Und der Raum, der ihr zugeteilt worden war, um ihre Waren abzustellen, war anscheinend zum letzten Mal vor den Gruppenkämpfen betreten und geputzt worden. Sie fand eine Bank an der Wand einer der Marktplatzwege, auf der sie sich dankbar niederließ, um den vorbeiziehenden Mengen zuzusehen. Mode, wie immer in der Stadt, hatte sich seit den Tagen der Attacke schnell entwickelt. Sie hingegen holte immer noch auf, versuchte, ihren Halt zu finden. Ganz besonders angesagt waren Rebreather, jetzt mehr stylisch und verziert als praktikabel—ein Überbleibsel, das in den Tagen des Stadtwiederaufbaus unverzichtbar war. Und die Hüter! Tess und sie hatten viel Zeit seit Evas Rückkehr damit verbracht, sie auf den neusten Stand zu bringen, was Hütervorlieben betraf und Eva war ungeheuer beeindruckt. Tess, die Schmieden und selbst die Vorhut hatten sich selbst übertroffen. Armor-Designs und Shader-Schemas hatten sich seit ihrer Zeit im alten Turm drastisch verbessert. „Was hab ich eigentlich hier verloren …?“, murmelte sie zu sich selbst. „Was kann ich schon tun, das …“ sie verlor den Faden, als ein Hüter vorbeiging, über dessen Helm sich etwas erhob, das wie ein ganzes Wappen aussah und gehüllt in eine ein Warlockrobe, die in der Brise wehte und Wellen schlug. „Jetzt reicht‘s“ Eva stand mit einem Ruck auf und machte sich auf den Weg zu den Droiden, um ihnen zu sagen, dass sie mit dem Putzen aufhören sollten, als sich ihr jemand in den Weg stellte. Ein Hüter mit einem Ledermantel und einem glänzenden, schwarzen Helm. „Eva?“ Die Stimme klang verzerrt. Sie konnte ihr eigenes verwirrtes Gesicht in der reflektierenden Oberfläche des Helms erkennen. Die behandschuhten Hände nahmen den Helm ab, unter dem das lächelnde Gesicht von Ramos zum Vorschein kam. „Abuela! Ich bin‘s!“ Er umarmte sie herzlich, während sie lachte. „Du Schelm! Du hast mir nicht mal die Gelegenheit gegeben, dir zu danken!“ Sie gab ihm einen spielerischen Klaps auf die Schulter. „Rettest einfach so einer Frau das Leben und reitest dann davon, um die Stadt zu retten!“ Ramos lachte und sah glücklicher aus, als sie ihn jemals gesehen hatte. Das Licht drapierte sich geschmeidig um ihn, als er sich zu einem Paar Hüter umdrehte, die gespannt zusahen. „Team, das ist Eva Levante! Erinnert ihr euch noch an meine Geschichten? Diese Frau ist eine Legende!“ Ihr gestikulierte zu den beiden. „Eva, die beiden glänzen wie Glimmer. Sind erst kurz vor dem Angriff der Rotlegion Hüter geworden.“ Eva nickte mit tief gesenktem Kopf zu ihnen. „Schön, euch kennenzulernen.“ Der eine hob die Hand zu einem halbherzigen Gruß, der andere nickte nur kurz. „Was … öh, tust du hier?“ Eva seufzte. „Oh, ich … ich, gar nichts eigentlich.“ Ramos lachte und sprach: „Sie ist eine phänomenale Schneiderin! Eine Kriegsheldin! Und davor war sie eine der Personen, die den Turm ausmachten. Erinnert ihr euch an den Anbruch, den ihr so gerne mochtet? Den hat sie in den Turm gebracht.“ Die beiden drehten sich beeindruckt um. „Wie … wie hast du Zavala dazu gebracht, äh …? Eva lächelte: „Oh, Spaß zu haben?“ Sie lachte über die Reaktionen der drei Hüter und klopfte ihren Stock zweimal auf den Boden. „Das ist eine so gute Geschichte! Falls ihr Zeit habt?“ Ramos lachte. „Auf jeden! Komm, wir holen uns was zu essen. Und zeigen den Nachwuchshütern, was es heißt, Teil des Turms zu sein.“ Mit der Hilfe ihres Freundes schritt Eva Levante leichtfüßig über den Marktplatz des Turms, Bastion der letzten, sicheren Stadt. Heimat.