
I: Eiermembranwebstoff
Lore
Beinahe so stattlich wie ein Archon-Priester, aber ausgemergelt erreicht er Europa. Er braucht Äther, sonst, fürchtet er, wird er schon beim kleinsten Stupser zerfallen. Seine Arme werden sich selbst kupieren, seine Haut wird sich ablösen. Er besitzt nichts außer seiner Rüstung und dem tausend Jahre alten Webrahmen, den er mit seinen vier Armen umklammert. Sie nennen ihn spöttisch „Namrask“, was etwa „talentfreier Weber“ bedeutet. Die Menschen hätten ihn wohl einfach als einen Niemand bezeichnet. Eramis trennt alle Neuankömmlinge, um deren alten, aus der Zeit vor dem Frühlicht stammenden Loyalitäten zu unterbinden. Namrask wird in ein kleines Gewölbe unter dem Eis bugsiert. Die Oberfläche des Mondes ist dermaßen radioaktiv, dass nicht einmal die Eliksni dort lange überleben können. Die kleinen Winter-Drekhs sind freundlich zu ihm. Namrask bemerkt, dass sie ihn für zu schwach halten, um die üppigen Ätherrationen zu verdienen, die er benötigt. Er wurde in dieses Gewölbe gebracht, um darin zu sterben. „Ich kann arbeiten“, sagt er mit raspeliger Stimme. „Ich kann Verbände, Umhänge, Rüstungsgeflecht, Eiermembranwebstoffe, Kapselschwämme, Gebetsmatten und Wasserwebstoffe fertigen. Ich bin ein Weber!“ „Hochgewachsener Freund“, sagt einer der Winter-Drekhs nüchtern. „Niemand von deiner Körpergröße ist ein Weber. Warum meldest du dich nicht freiwillig, um für Eramis zu kämpfen?“ Namrask schaudert. Er kann nicht kämpfen. Nicht nach all dem, was er im Riff erlebt hat – dieses DING mit seinem Stab. Nicht nach SIVA, dem Dämmerbruch, London. Kridis hatte versprochen, dies sei die Erlösung. „Bringt mir zerbrochene Eier“, fleht Namrask, „und ich werde Eiermembranwebstoff daraus fertigen. Wie sollen die Schlüpflinge gewickelt werden, wenn niemand Eiermembrantücher für sie webt?“ Die Drekhs sehen zu, wie er die Eierschalen mit seinen Zähnen von der darunterliegenden dünnen, faserigen Membran löst. Er zieht sie zu langen Fasern zurecht und befestigt sie als Kettfaden an seinem Webrahmen – mit von oben nach unten verlaufender Fadenführung. Den Webrahmen hält er mit zwei Händen in seinem Schoß. Vorsichtig schärt er den Kettfaden mit seiner dritten Hand. Würde er dabei zu schnell vorgehen, könnten die Eierfasern einen Fadenbruch erleiden. Sein Leben hängt von dieser Sache ab. Mit seiner vierten Hand führt er das Webschiffchen nun behände durch den Kettfaden und zieht den ersten Querfaden hindurch. Der Faden bricht nicht – er hat tatsächlich gewebt. „Seht her“, fordert er die Drekhs auf. „Wenn Eramis unsere Feinde schließlich besiegt, müssen wir wissen, wie man Dinge fertigt.“ Sie sitzen da und schauen zu. Ihre nach dem Kupieren halb nachgewachsenen Arme imitieren seine Bewegungen. Ihre Namen sind Eoriks, Oeriks und Yriks: Bruder, Bruder und Schwester. Als er fertig ist, reicht er ihnen das kleine Stück Eiermembranwebstoff. Sie murmeln erstaunt vor sich hin und reiben ihre Wangen daran. „Bringt das zum Captain des Lagers“, verlangt er. „Sagt, dass Namrask weben kann, sofern er genährt und mit Fasern versorgt wird.“ Es war das erste Mal, dass er mit dem Weber etwas hergestellt hat, ohne es zu ruinieren.

II: Vakuumdämmwebstoff
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Wenn Namrask die Kraft hat, setzt er nicht flüssige Schleifenschneider ein, um den Drekhs zu helfen, ihre eisigen Tunnel mit anderen Habitaten zu verbinden. Zur Isolierung der Tunnel webt er Matten aus Vakuumdämmwebstoff, und bald darauf ist es an einigen Plätzen schon warm genug, um das ein oder andere Rüstungsteil ablegen zu können. Ein Eiergelege ist gereift und die Schlüpflinge werden in dem Gewölbe aufgezogen. Zum ersten Mal seit seiner Flucht aus der Wirrbucht kann Namrask auch an etwas anderes denken als an sein eigenes Überleben. Dann trifft die Kriegerin Phylaks ein, eine von Eramis' Leutnants, um neue Rekruten zu gewinnen. Auf dem rohen Eis unter schwarzem Himmel führt sie Videos vor. In einem davon ist zu sehen, wie Eramis eine Kristallwand errichtet, die einer Festungsmauer gleichkommt. Ein anderes zeigt, wie sie einen Vex-Minotaurus in einen frostigen Sarg bindet. „Das ist die Zukunft aller Eliksni. Wer von euch möchte diese Macht ausüben?“, fragt sie. Er hält seinen Kopf gesenkt. „Du.“ Namrask schaut vorsichtig auf. Phylaks presst ihre Schockpistole an seine Schläfe. Dann legt sie die Waffe zum Zeichen des Waffenstillstands zwischen ihnen ab und erweist ihm mit einer Ireliis-Verbeugung Respekt. „Du hast die Statur eines alten Kämpfers. Warum meldest du dich nicht?“ Er fürchtet, dass er kein Wort herausbringt, doch dann spricht er mit fester Stimme, auch wenn sie wie die eines anderen klingt: „Ich sah, was passierte, als die Eliksni das letzte Mal nach neuer Macht strebten. Und auch das Mal davor und das Mal davor. Ich werde mich nicht daran beteiligen.“ Achselzuckend nimmt Phylaks ihre Pistole wieder auf und schreitet davon. „Es gibt viele andere, die deinen Platz einnehmen wollen.“ Später versucht Yriks, ihn umzustimmen, doch Namrask weigert sich weiterhin. „Eramis' Autorität beruht auf ihrer Fähigkeit, diese Macht zu gewähren. Doch sie kann sie nicht jedem gewähren. Wenn sie das tut, büßt sie ihre Autorität ein“, sagt er. „Hat sie Servitoren zerstört?“ „Ich denke schon“, sagt Yriks leise. „Dem Drekh-Klatsch zufolge zerstörte sie während eines Rituals der Machtgewährung einen Servitor. Um zu demonstrieren, dass die alten Wege der Vergangenheit angehören.“ „Natürlich.“ Werden Gesellschaften für alle Zeit auf Gewalt basieren? Wo der einfache Arbeiter nicht der Weber, der Bauer oder der Heiler ist, sondern der Drekh: eine Waffe, eine Klinge, eine Arbeitseinheit. Angeheuert, um zu stehlen, was er stehlen kann – der Wert eines Drekh-Lebens. Und Namrask hatte geholfen, dieses Gesetz zu erschaffen. Er grollt: „Sie predigt Erlösung, aber sie kann nicht jeden retten. Sie hält die Ätherversorgung knapp. Mehr, als wir allein beschaffen könnten, aber nicht so viel, wie wir brauchen. Das ist der Weg der Regentschaft.“ „Du hast ein Gespür für Strategie“, bemerkt Yriks aufmerksam. „Wer warst du, bevor du unser talentfreier Weber wurdest?“ „Kennst du das Geheimnis des Vakuumdämmwebstoffs?“, fragt er und legt unvermittelt ein wenig davon auf den Boden, damit ein schnatternder kleiner Schlüpfling Sammelspiele spielen kann, ohne zu erfrieren. „Warum ist er als Isoliermaterial so wertvoll?“ „Was ist das Geheimnis des Vakuumdämmwebstoffs, Namrask? Warum ist er so wertvoll?“, äfft sie ihn nach. Namrask zeigt ihr einen Faden des Materials, das Ende einer Faser, damit sie die kleinen Vakuumblasen erkennen kann, die sich darin befinden. „Da ist nichts drin“, sagt er. „Gehst du jedoch zu harsch damit um, zerstörst du dieses Nichts. Und dann ist es nutzlos.“

III: Bannerwebstoff
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Europa ist kälter als die Leere, denn das Eis schluckt die Hitze schneller als reines Vakuum. Der hiesige Äther schmeckt nach Eis und Strahlung, nach Metall und Blut. Namrask wird klar, dass dies kein neues Eliksni-Paradies ist – es ist ein sehr altes. Und die gehen immer unter. „Tu was“, fleht ihn Yriks an. „Wenn du nichts unternimmst, werden wir alle hier sterben.“ „Nein“, grunzt Namrask, während er an seinem Webrahmen zupft. Er fürchtet, dass er Eramis' Geschenk annehmen könnte, sobald er sich ihr nähert. „Tu was“, fleht ihn Eoriks an. „Finde einen Beschützer für uns. Du musst doch große Krieger gekannt haben, als du ein bedeutender Mann warst.“ „Nein“, antwortet Namrask abermals. Er hält einen Schlüpfling unter die Heizlampe, damit er die Wärme genießen kann. Er fürchtet, dass sich jeder, den er nach Europa rufen würde, Eramis anschließen wird. „Tu was“, fleht ihn Oeriks an. „Finde einen Weg von Iiropa fort. Wenn das, was sie sagen, wahr ist, wird Eramis Verdammnis über uns alle bringen. Wovor fürchtest du dich?“ „Schön“, blafft er. „Dann werde ich uns einen Verräter suchen.“ Zum ersten Mal begibt sich Namrask auf den langen Weg nach Riis-Wiedergeboren. Es wurde inmitten der Ruinen einer alten Menschenstadt erbaut und seine kantige, gedrängte Architektur lässt ihn vor Angst und Blutdurst knurren. Er erinnert sich, wie die Eliksni die Mauern der Nicht-wirklich-Letzten-Stadt durchbrachen und sich alles nahmen, was sie nur hergab. Sniksis und Piksis bewachen Eramis' Kammer. Die Zwillinge würdigen ihn mit einer Ireliis-Verbeugung. „Sie wird dir Ehre erweisen, wenn du ihr Ehre erweist, o großer Ak–“ „Sprecht ihn nicht aus“, grummelt er. Nicht diesen gestohlenen Namen. „Ich bin nicht wegen Eramis hier. Wo ist Variks?“ Als Variks, der alte Richter, Namrask erblickt, bricht er in Gelächter aus. „Ich dachte, du würdest für immer in diesem Loch feststecken.“ „Du hast mich da reingebracht, habe ich Recht?“ „Nicht ich, Sir.“ Variks klatscht über Kreuz in die Hände, erst mit dem einen Paar Armen, dann mit dem anderen. „Es war der Tages-Captain, ohne eine Ahnung zu haben, wer du wirklich bist. Gefällt es dir, in Vergessenheit geraten zu sein, altes Rauchschwert?“ Namrask knirscht mit den Zähnen. Mühsam lässt er sich auf alle vier Arme nieder. „Ich komme, um einen Gefallen zu erbitten.“ „Nein.“ Variks tritt näher und flüstert ihm zu: „Mein Urteil ist gefallen, Leid-der-Massen. Du hast keine Gnade walten lassen und so wird dir ebenfalls keine zuteilwerden.“ „Du machst es dir zur Gewohnheit, Königinnen zu dienen, die dich im Stich lassen werden“, flüstert Namrask zurück. „Eramis ist dem Untergang geweiht, Variks. Sie ist vom Wirbelwind berührt. So, wie ich einst.“ „Sie weiß, was sie riskiert. Warum sonst sollte sie ihre Gefährtin und ihre Kinder auf einen anderen Stern schicken?“ „Athrys ist fort?“ Bedauernswerte Neuigkeiten – sie war Eramis' Leitschimmer. „Du hast immer einen Ausweg. Ich will ein Stück weit daran teilhaben …“ „Jetzt rennst du vor der Schlacht davon?“ Der Tonfall des Richters ist hoffnungsvoll, nicht spöttisch. Eine aufrichtig gemeinte Frage. „Wenn Eramis dir wieder zu Macht verhelfen könnte?“ „Ich überlebe jetzt, wie ein Drekh überlebt. Ich habe Schlüpflinge, und ich will sie verschont wissen.“ „Auf den Schiffen, die du auf Riis zurückgelassen hast, waren Schlüpflinge. Menschenkinder in London …“ „Ich bin nicht länger das Monster, das ich damals war!“ „Doch, das bist du.“ „Aber ich will es nicht sein! Als ich im Riff war, habe ich …“ Namrask ringt mit den Worten. „Ich sah die Bestie Fokrul. Und zuvor sah ich die Teufels-Spleißer. Doch diese Entartung unserer Gestalt, diese Rachsucht – das muss aufhören, Variks. Bitte. Hilf mir.“ „Keine Gefallen“, erklärt der Richter. „Nicht für dich. Aber …“ Variks kratzt mit seiner Handprothese Buchstaben in den Schnee. Namrask muss ein paar Mal mit seinem zweiten Auge blinzeln, um zu erkennen, dass es sich um eine menschliche Schrift handelt: MITHRAX. „Ich werde ihm deinen Namen kundtun.“ Variks wischt die Buchstaben fort. „Aber nicht aus reiner Gefälligkeit.“ Seine metallene Hand berührt die zerfetzten blauen Banner um seine Taille. „Als Gegenleistung will ich diese als frischen Bannerwebstoff erneuert haben. Ich werde dir das Garn zukommen lassen. Du wirst für mich weben, ‚Namrask‘.“ Namrask versucht sein Bestes, doch das Bannergarn ist zu fein, das Gewebe zu dicht … und so kann er seine Aufgabe nicht erfüllen, bevor die Nachricht eintrifft, dass Variks die Hüter – die Maschinenbrut – nach Europa gerufen hat.

IV: Streuumhang
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Namrask stampft auf allen Sechsen in das Gewölbe und brüllt: „Wir müssen gehen! Auf dem Eis wandelt der Tod!“ Oeriks, Eoriks und Yriks verbreiten die Nachricht. Es kommen mehr herbei, als Namrask zu hoffen gewagt hatte. Er warnt sie: „Wir müssen uns nah bei der Maschinenbrut verstecken und Vorräte stehlen, oder die Strahlung und der Äthermangel werden uns dahinraffen.“ Sie brechen auf, doch kaum eine Stunde später durchschlägt ein Gewehrgeschoss Namrasks Rüstung. Der Aufprall bringt ihn kaum ins Taumeln, aber der Luft- und Ätherstrahl, der im Vakuum explodiert, schleudert ihn zurück. „Ein Hüter“, warnt er. „Er wird seinesgleichen herbeirufen.“ Hüter lieben es, sich zu versammeln und wie die Aasfresser gemeinsam über geschwächte Feinde herzufallen. Ein weiteres Geschoss trifft Namrasks Helm. „Alle mit Streutüchern: Gebt mir eure Umhänge!“ Im Austausch für den ersten Umhang schiebt Namrask seinen Webrahmen in die Arme einer Vandalin. „Aber der ist von unschätzbarem Wert“, protestiert sie. „Du kannst ihn nicht weggeben!“ „Ich werde ihn mir zurückholen“, verspricht er. Fieberhaft näht Namrask die Umhänge zu einem großen Laken zusammen, während Blut von der Innenseite seiner Rüstung heruntertropft. Er feuert mit seinem Schrapnellwerfer in das Eis, um Dampf zu erzeugen: „Genau so!“, ruft er. „Erzeugt eine Nebelwolke und lauft!“ Sie schießen in das Eis und fliehen. Während sich der Eissturm in die geringe Schwerkraft Europas senkt, kriecht Namrask unter einem Laken der Unsichtbarkeit auf den Hüter zu. Gelegentlich lugt er lange genug hervor, um gesehen zu werden, damit der Hüter ihn verfolgt, statt den anderen hinterherzujagen. Der Hüter heftet sich an seine Fersen. Namrask drängt sich gegen das Eis und friert langsam ein. Was für spöttische schlaksige Abbilder der Eliksni-Gestalt die Menschen doch sind: zwei Arme, zwei Augen in einem weichen, leblosen Puppengesicht, stummelige kleine Zähne. Er erinnert sich an die Hüter, die er getötet hat – acht Mal. Geister hat er nie geschätzt. Er erinnert sich an den Geruch brennenden Fleisches. Herkömmliche Menschen, jung und alt. Ihre Gärten und Häuser, ihren Stern und ihre Welt. Für alle Zeiten wird er sich daran erinnern, vor langer Zeit diesen Befehl gegeben zu haben: Verbrennen! Verbrennen! Verbrennen! Der Hüter kommt näher. Namrask erzeugt mit den Heizelementen seiner Rüstung eine Pfütze. Der Hüter nutzt die Spitze seines Schwertes, um die Eisdecke am Rand von Namrasks Deckungsstellung zu prüfen. Namrask gibt ein leises Geräusch von sich: Ich will noch nicht sterben. Ein Schuss aus einer Schockpistole prallt von der Rüstung des Hüters ab. Er wirbelt herum, Schwert runter, Gewehr hoch, den Blick auf Yriks gerichtet. Dumme, tapfere Yriks, die auf allen Sechsen herumhuscht wie ein Drekh. Sie hat ihn gerettet. Der Hüter verspottet sie und sagt: „Ooh, bonyenne, tu m'as tiré! Tu voulais mon attention? Ben tu vas l'avwère!“ Ein Transportmittel trifft ein. Der Hüter sitzt auf und verfolgt Yriks. Namrasks wird sie nie wieder sehen.

V: Wasserwebstoff
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Ein paar Mitglieder seiner Gruppe kehren zurück und finden ihn halb erfroren auf dem Eis vor. Seine Gliedmaßen zucken im Delirium, er ruft ständig nach Yriks. Während sie ihn befreien, steigt in der Ferne ein Schiff auf, aktiviert mit einem Schimmern seine Tarnung und ist fort. Sie sind gestrandet. „Warum seid ihr zurückgekommen?“, stöhnt Namrask. „Ihr Dummköpfe. Ihr hättet bei den anderen bleiben sollen … fliehen sollen …“ „Ich musste dir deinen Webrahmen zurückgeben“, sagt die Vandalin. Sie legt ihn auf seiner verwundeten Brust ab. Er schreit auf. Die Tage verstreifen und immer wieder ertönen weit entfernte Übertragungen aus dem Funkgerät. Verschlüsselte taktische Daten, die zwischen Servitoren ausgetauscht werden. Eramis' Predigten. Das Lied der roten Welt über ihnen. Und gelegentlich Gebrüll in menschlicher Sprache, wenn ein Hüter mit einer neuen Eroberung prahlt oder ein obszönes Ruhmesspiel verflucht. Phylaks ist tot. Praksis auch. Die Priesterin Kridis ist tot – Sniksis und Piksis starben mit ihr –, und der Primus-Servitor ist zerstört. Eramis ist tot, von ihrer eigenen Macht verzehrt. Eine der alten Riis-Geborenen. Es wird niemals weitere geben. Namrask wusste, dass es so enden würde. Er erlebte es jedes Mal aufs Neue. Sein gefallenes Volk kennt die Niederlage so gut, dass es sich jetzt selbst besiegt. Er tobt und kratzt am Eis. Für seine Truppe gestrandeter Überlebender fertigt er Unterstände aus Wasserwebstoff an, aus einer synthetischen Plane aus dicken, mit Eis vollgepumpten Blasen, um einen Teil der Strahlung abzuwehren. Wenn ihn seine Wunde schmerzt, betäubt er sie auf dem Eis. Turrha sieht ihn, sagt aber nichts. Dafür ist er dankbar. „Wir müssen einen Sender finden“, sagt er. „Wir müssen Misraaks rufen, damit er zurückkehrt.“ Aber es sind immer noch Überlebende auf Europa. Sie suchen Namrask auf und bringen ihm ihre Schlüpflinge, aber nicht viel Äther. Und wenn sie Namrask aufspüren können, können es auch jene, die sie jagen.

VI: Supraleiter
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„Mein Vater wird zu euch kommen“, verspricht die Stimme im Funkgerät. „Sein Schiff ist schnell, seine Navigationskünste sind zuverlässig. Er studiert die Bewegungen des Lichts, und dieses Licht reist auch zu euch.“ Es gibt nicht genug Äther. Sie alle sind sich einig, dass die Schlüpflinge die volle Versorgung erhalten sollten. Alle anderen begnügen sich mit einem mageren Rinnsal. Und doch sterben sie. Namrask klammert sich an die Stimme im Funkgerät. Er bringt auch die anderen dazu, hinzuhören. „Sie ist so jung wie einige von euch“, sagt er eines Tages. „Nicht viel mehr als ein Schlüpfling.“ „Mein Vater wird zu euch zurückkehren“, bekräftigt die Stimme. Es ist idiotisch, auf den Ruf zu reagieren, er tut es aber trotzdem. „Wer ist dein Vater? Wie kann er das Licht studieren, wenn uns das Licht verwehrt ist?“ Ihre Antwort bleibt lange Zeit aus, doch vielleicht liegt es ja gar nicht an ihr. Der Empfänger ist beschädigt, also näht er einen Flicken aus supraleitenden Fäden dafür. Als sie schließlich antwortet, klingt sie verärgert. „Ich bin Eido, Tochter von Misraaks, Kell des Hauses des Lichts. Er ist dem Licht nahe, weil er den Lichtträgern nahesteht. Mein Vater schreitet Seite an Seite mit den Hütern des Reisenden voran.“ Starr vor Entsetzen sinkt Namrask auf die Knie. Er reißt den Flicken von dem Funkgerät und stapft davon. „Ich kann nicht mit ihnen gehen!“, grummelt er. Oeriks ruft ihm nach, doch Namrask ist zu sehr von Zorn und Angst erfüllt. Die Hüter werden ihn zweifellos erkennen, wenn er unter dem Reisenden steht.

VII: Zeit ist ein Webstoff
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„Hier spricht Misraaks.“ Nur ein Name, kein Titel. „An all jene, die die Gewalt des Hauses der Erlösung ablehnen und beim Haus des Lichts Zuflucht suchen: Ich werde ein Skiff zum Asterion-Abgrund schicken. Bringt nur das Nötigste. Die Überlebenden sind wichtiger als ihre Besitztümer. Nachricht erneut abspielen.“ „Astiirabis“, sagt Turrha. „Ich kenne diesen Ort. Wir können uns in den nahegelegenen Höhlen verstecken.“ „Schön“, sagt Namrask. Er nimmt seinen Webrahmen an sich. Alle starren ihn an und ihm fällt ein: Die Überlebenden sind wichtiger als ihre Besitztümer. „Ohne ihn bin ich nichts“, protestiert er. Oeriks und Eoriks entreißen ihn ihm. „Yriks ist nicht gestorben, um einen Webrahmen zu retten.“ Sie sind seit zwei Tagen in der Höhle, als Namrask bemerkt, dass ihre Hitzeabstrahlung das Eis sublimiert. Neugierig, wenn auch träge vom Äthermangel, kriecht er zur nächstgelegenen Wand hinüber und starrt sie an. Namrask blickt in eine weitere Höhle. Und noch eine. Und noch eine. Die endlosen Höhlen enthüllen eine unendliche Anzahl von Namrasks, Oeriks, Eoriks, Turrhas, Schlüpflingen und Überlebenden – nur dort sind sie im Eis erfroren. Dort werden sie von Kabalen gekocht. Und in der nächsten strömen sie unter dem Beschuss der Hüter in Panik aus der Höhle heraus. „Raus hier!“, krächzt Namrask. „Was?“ „Hoch mit euch!“, brüllt er. „STEHT AUF! WIR MÜSSEN HIER WEG!“ Angesichts der schieren Angst in seiner Stimme packen sie die Schlüpflinge und rennen. Als hätte das Licht dies alles arrangiert und als würde die Große Maschine wahrhaftig wieder über sie wachen, hören sie eine Übertragung: „Hier spricht Misraaks. Ich nähere mich getarnt und werde in fünf Minuten am Asterion-Abgrund eintreffen. Wenn ihr Zuflucht sucht, kommt zu mir. Wenn ihr immer noch dem Haus der Erlösung ergeben seid, dann bitte ich im Namen der alten Gesetze um sichere Durchreise. Dies ist eine Hilfsmission.“ Namrask hält nach der funkelnden Verzerrung der Tarnung am schwarzen Himmel Ausschau – da! Misraaks kommt vom Jupiitr und nutzt die Emissionen des Planeten als Kulisse. „Wir sollten uns aufteilen“, sagt er zu Turrha. „Es ist nicht klug, sich in einer Landezone im Pulk zu versammeln …“ Ihre Funkgeräte kreischen – eine fürchterliche Hochfrequenz. Ein Vex-Maserstrahl erwischt das anfliegende Skiff und schmettert es auf das Eis. Treibstoff, Luft und Äther gehen in Flammen auf. Namrask ist nicht überrascht. Das Licht kommt ihnen nicht zu Hilfe. Die Große Maschine wacht nicht über sie. „Wir müssen hier weg“, sagt er. Er streckt die Hände nach Turrha aus. „Wir sollten …“ Sie ist von weißem Nebel umhüllt. Winzige elektrische Entladungen tanzen auf ihrer Rüstung. Sie sieht zu ihm auf und ringt nach Luft. Der Vex-Teleporter lässt einen Goblin unmittelbar in ihren Körper hineinfahren, sodass er zerspringt. Die Maschine mit ihrem teilnahmslosen roten Auge hebt ihre Waffe zum Feuern. Nahezu im selben Augenblick wird Oeriks von dem Geschoss eines Schlaggewehrs getroffen und stirbt. Eoriks springt an seine Seite und versucht, die Verpuffung des entweichenden Äthers aufzuhalten – dem alten Glauben nach handelt es sich hierbei um die Seelenwanderung –, als könne er Oeriks dadurch am Leben erhalten. Doch auch Eoriks wird getötet. Namrask stellt sich zwischen die Schlüpflinge und die Vex. Wenn er ihnen nur einen Moment verschaffen kann, nur noch einen weiteren Atemzug, dann ist das ein besseres Vermächtnis, als er es sich je erhofft hatte … „ZU MIR!“, schreit eine jung klingende Stimme. „Eliksni, zu mir!“ Endlich trifft Misraaks doch noch ein. Und er ist nicht allein. Das Licht ist an seiner Seite. Und ein Hüter.

VIII: Und auch aus Licht gemacht
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Sie begeben sich in die Letzte Stadt unter der Großen Maschine. „Wovor fürchtest du dich?“, fragt Misraaks Namrask. „Wieso fürchtest du dich NICHT?“, will Namrask wissen. Der Jüngere verwirrt ihn. „Was für ein Leben könnten wir dort führen? Sie werden sich an uns rächen. Und hätten wir es nicht auch verdient?“ „Gibt es da etwas, das ich wissen sollte?“, fragt Misraaks trocken. „Nein“, knurrt Namrask und reibt sich an den Stellen, wo sie aus seiner Hülle herausragen, die Knie. „Ja. Ich war …“ Er hält inne. „Nein. Ich kann es dir nicht sagen, weil du es dann den Menschen erzählen müsstest. Und ich werde nicht von dir verlangen, zu lügen.“ „Du willst nicht der sein, der du früher warst“, mutmaßt Misraaks. „Würdest du einen neuen Beruf erlernen?“ „Ich würde gern weben“, sagt Namrask. „Ich bin noch nicht allzu gut darin, aber ich könnte es werden.“ „Das Weben ist ein bisschen wie das Spleißen“, merkt Misraaks nachdenklich an. „Spleißer arbeiten mit Metall und Fleisch, nicht mit Kett- und Querfäden. Aber das Ziel ist dasselbe: das Leben mit der Kunst zu bereichern, und die Kunst mit deinem Leben zu bereichern.“ „Ich traue Spleißern nicht“, grummelt Namrask und reibt sich die Brust. Was würde ein Spleißer mit ihm anstellen? Ihm Maschinenkrebs einpflanzen, um ihn wieder erstarken zu lassen? Ihm den korrumpierten Äther verabreichen, den unsterblichen Wahnsinn? Misraaks' Primäraugen leuchten. „Ich bin ein Spleißer der älteren Sorte. Einer von denen, die in allem nach dem Licht suchen. Vielleicht die richtige Art Spleißer, die zwei Völker miteinander zu verweben vermag. Wie es die Erwachten im Riff versuchten.“ „Aber das Licht ist NICHT in allen Dingen vorhanden. Es hat uns verlassen. Warum nach dem Licht suchen, wenn doch so deutlich zu erkennen ist, wen es bevorzugt?“ „Es war einst in uns“, erinnert ihn Misraaks. „Und das könnte es wieder sein.“ Namrask erinnert sich an eine solche Zeit, in sehr weiter, blutgetränkter Ferne. „Riis … Ich war dort, weißt du“, flüstert Namrask. „Während des Wirbelwinds. Nachdem Chelchis gefallen war, schickte ich Schiffe aus, die der Großen Maschine folgen sollten. Ich wandte mich von allen Häusern ab, die keinen Krieg führen konnten. Ich befahl meiner Flotte, der Maschine nachzujagen. Viele scharten sich nach uns zusammen. Jedes Schiff begann seinen eigenen Krieg mit den Menschen. Aber vielleicht war ich der Erste.“ Misraaks starrt ihn zunächst nur an. Schließlich sagt er: „Ich verstehe. Unser Volk fürchtet den Heiligen ebenfalls. Aber ich bezweifle, dass der Heilige sie jemals beim Namen kannte.“ *** Namrask lässt sich in dem Viertel der Letzten Stadt nieder, das den Eliksni überlassen wurde. Bei Tag teilt er den Webrahmen mit anderen. Bei Nacht flüstert er die Namen jener, die er verloren hat, bis er einschläft. Er schläft gut, bis zu dem Tag, an dem ihn ein Mensch mit „Kinderfresser!“ anbrüllt. Namrask wendet sich ab, doch er würde gern zurückschreien. Über den geschlossenen Luftraum und das abgeschottete Leben auf einem Raumschiff klagen. Auf die Schlüpflinge verweisen, die überlebt haben, und die harten Entscheidungen bezüglich jener, die es nicht taten. Er wünschte jetzt, sie wären verdorben genug gewesen, um in Erwägung zu ziehen, menschliche Nachkommen zu verschlingen. Aber er sieht die jungen Eliksni, wie etwa Eido. Er will angesichts ihres Versprechens, ihrer Hoffnungen lamentieren. Eido mag ihn nicht und meidet ihn, und es ist besser so. Schließlich lernt Namrask, für die Menschen zu weben. Seine Lieblingsaufgabe ist es, Filz herzustellen, er lernt aber auch, mit Seide zu arbeiten. Er mag den Seidenmacher und betätigt ihn manchmal manuell, zieht mit einer Hand einen Faden aus der Spinndüse und dann den nächsten, stets eine gleichmäßige Spannung beibehaltend, mit der sich das beste Gewebe fertigen lässt. Er wünschte, er könnte Licht weben wie die Hüter-Warlocks, die nach einem geheimen Verfahren Feldgewebe erzeugen. Vielleicht wird Misraaks lernen, wie man das macht. Eines Tages kommt eine Maschine auf seinen Marktstand zu. Er reibt nervös an seiner Hülle. Die Maschinenmenschen werden „Exos“ genannt. Sie erinnern ihn an die Vex. Es ist einfacher, ihre gepanzerte Gestalt zu betrachten als die beunruhigende Weichheit der Menschen und zweifach beseelten Erwachten. Diese Exo trägt einen farbenfrohen Übermantel. „Ich erkenne dich“, sagt die Maschine. Er verzagt. „Namrask verkauft Stoffe“, sagt er mit raspeliger Stimme und tut so, als würde er sie nicht verstehen. „Namrask.“ Sie lacht leise. „Ich bin alt, talentfreier Weber. Fast so alt wie du, denke ich. Aber anders als die meisten meiner Art erinnere ich mich an London – und an dich.“ Mit einem Stoffballen bringt er eine gewisse Distanz zwischen sich und ihr. Doch sie ergreift zwei seiner Hände: Ihr Maschinenfleisch fühlt sich wärmer an als seins. „Zeitlinien werden aus jedem Moment geboren – wir leben auf einem Faden, der in einen riesigen Wandteppich eingewebt ist. Doch was auf diesem Faden zwischen uns passiert ist, war vorbestimmt. Du kannst nicht davor wegrennen. Du bist ein Schlächter. Du und ich, wir sind immer noch im Krieg“, krächzt sie. Sie lässt seine Hände wieder los. Schwer atmend starrt er sie an. Ätherschwaden entweichen seinem Mund. Sie klopft spielerisch auf alle seine vier Hände. „Ich wurde nach einer alten Göttin benannt“, sagt sie, „mit so vielen Armen wie du. In ihren Händen hält sie Dharma, Kama, Artha und Moksha. Recht, Begierde, Bedeutung und schließlich Befreiung. Freiheit vom Krieg des Todes und der Wiedergeburt. Fühlst du dich durch deine Wiedergeburt als Namrask befreit?“ Er wiederholt: „Namrask verkauft Stoffe.“ „Vielleicht.“ In ihrer Stimme schwingt Gelächter mit. „Aber ich denke nicht, dass Moksha dir eine echte Wiedergeburt gewährt hat.“ „Ich habe nicht vergessen, was du getan hast, als du Akileuks warst. Und das werde ich auch niemals“, sagt sie leise. Er hat diesen Namen wie jedes andere Beutegut gestohlen und benutzt. Den Namen eines menschlichen Helden, eines großen Kriegers und eines berühmten Läufers: Achill, was so viel bedeuten kann wie „Wehe dem Feind“.